Sehr geehrte Frau Grünzel, sehr geehrter Herr Reininger,
seit Ihrem Offenen Brief vom 13. Juni ist einige Zeit vergangen. Sicher haben Sie jedoch Verständnis, daß ich vor einer Entscheidung zur Inschrift des Gedenksteins für die KZ-Häftlinge aus dem Lager Adlerwerke / Katzbach zunächst dem Vorstand der Dresdner Bank AG eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben wollte. Inzwischen liegt mir eine Antwort auf mein Schreiben an den Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG, Herrn Jürgen Sarrazin, vor, die ich Ihnen gerne in meinem Dienstzimmer zugänglich mache.
Die Erwähnung der Aktionäre und der Dresdner Bank in der vorgeschlagenen Form erscheint mir für einen Gedenkstein auf einem Friedhof unpassend. Jenseits der Frage, ob die Dresdner Bank einen beherrschenden Einfluß bei den Adlerwerken besaß, wäre eine derartige Schuldzuweisung meines Erachtens mißverständlich, weil eine personelle Kontinuität damaliger Verantwortlicher und heutiger Mitarbeiter nicht gegeben ist. Daß Institutionen unter denselben Namen wie früher weiter tätig sind, bedeutet allerdings eine besondere moralische Verpflichtung für die heutige Führung. Der heutige Vorstand sollte ein eigenes Interesse haben, die damalige Zusammenarbeit einzelner Verantwortlicher mit dem NS-Regime offenzulegen und die Mechanismen im Zusammenspiel von Wirtschaft und Diktatur zu untersuchen. Die bisherige Unternehmensgeschichte der Dresdner Bank aus dem Jahr 1992, die mir Herr Sarrazin freundlicherweise hat zukommen lassen, macht es sich mit ihren pauschalen Rechtfertigungsversuchen allerdings zu leicht und ist in manchen beiläufigen Bemerkungen (“es ging etwas preußischer zu") peinlich verharmlosend.
Offenkundig hat die öffentliche Kritik anläßlich der Feierlichkeiten zum 125jährigen Jubiläum der Bank dem Vorstand jedoch zu denken gegeben. So hat die Dresdner Bank nun - wie bereits die Deutsche Bank vor ihr - ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, um ihre Geschichte während der NS-Zeit wissenschaftlich aufzuarbeiten. Ich gehe davon aus, daß auch die Rolle der Dresdner Bank bei den Adlerwerken Gegenstand dieser Untersuchung sein wird. In jedem Fall werden sich durch das Forschungsvorhaben in nächster Zeit immer wieder Anknüpfungspunkte ergeben, um das in den Adlerwerken begangene Unrecht öffentlich zu thematisieren und das Leid der Opfer im Bewußtsein der Frankfurter Bevölkerung wachzuhalten, was ich für wichtig halte.
Provokationen und Pointierungen sind oft unerläßlich, um notwendige Debatten überhaupt in Gang zu bringen. Insofern hat bereits Ihr Vorschlag für eine Inschrift einiges bewirkt. Die weitere Aufklärung, welche Rolle die Dresdner Bank AG und ihr damaliger Vorstandsvorsitzender Carl Goetz bei den Adlerwerken gespielt haben, kann jedoch meines Erachtens nicht auf einem Gedenkstein und auf einem Friedhof geleistet werden. Man würde sich immer dem Vorwurf unzulässiger Verkürzung aussetzen. Außerdem müßte man sich auf eine - wenig ertragreiche - Debatte über Stilfragen gefaßt machen, die dem eigentlichen Anliegen - dem Gedenken an die Opfer - nur schaden könnte. Deshalb kann ich mich nur der Bitte von Herrn Heil, dem Leiter des Garten- und Friedhofsamtes, anschließen, die Passage “unter Mitverantwortung der Dresdner Bank und ihrer Aktionäre" nicht auf den Gedenkstein zu meißeln.
Falls Sie und Ihre Gäste dies wünschen, bin ich gerne bereit, die Überlebenden des Lagers Adlerwerke anläßlich Ihres Besuchs in Frankfurt am 8. September zu begrüßen. Bitte lassen Sie mich wissen, was ich tun kann, damit Frankfurt das großzügige Angebot Ihrer Gäste zum gemeinsamen Erinnern und zur Versöhnung angemessen würdigt.