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Auseinandersetzung um den Text auf dem Gedenkstein

1996 hatte der Verein LAGG, Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim, und die neu gegründete “Initiative gegen das Vergessen” einen Wettbewerb für einen Gedenkstein für das Gemeinschaftsgrab der ermordeten KZ-Häftlinge auf dem Hauptfriedhof ausgeschrieben. Ausgewählt wurde eine Arbeit des Frankfurters Dirk Wilhelm Bührmann: der versunkene Sarkopharg. Am 31. März 1997 stellte der Verein an das Garten- und Friedhofsamt den Antrag auf Genehmigung des Gedenksteins, dessen Einweihung im Beisein von Überlebenden des KZ für den September des Jahres geplant war. Der Gedenkstein sollte folgenden Text haben:

Zum Gedenken
Hier ruhen 528 Menschen
Sie starben zwischen August 1944 und März 1945 in den Adler-Werken, in Frankfurt am Main.
Sie wurden durch Arbeit, Zwangsarbeit, vernichtet.
Sie verhungerten, starben an Entkräftung, an unbehandelten Krankheiten,
wurden zu Tode geprügelt.
Sie starben mitten in Frankfurt,
unter Mitverantwortung der Aktionäre und der Dresdner Bank.
Die Adler-Werke waren eine Außenstelle der Konzentrationslager Buchenwald und Natzweiler.

Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch.
Bert Brecht

Wir dokumentieren hier die Auseinandersetzung um die Zeile “unter Mitverantwortung der Aktionäre und der Dresdner Bank”:

Garten- und Friedhofsamt, Frankfurt 24.04.1997

Antrag auf Zustimmung für die Aufstellung eines Grabmales auf dem Hauptfriedhof der Grabstätte der Opfer des KZ-Außenlagers Katzbach/Adlerwerke in Gewann E, Nr. 157

Sehr geehrte Damen und Herren,

grundsätzlich stimmen wir Ihrem Antrag für die Aufstellung des Grabmales zu bis auf die Textpassage: "... unter Mitverantwortung der Aktionäre und der Dresdner Bank. ..."

Wir sind der Auffassung, daß diese, aus dem Kontext gezogene und stark verkürzte Schuldzuweisung für das ansonsten sehr zu befürwortende Engagement zum Gedenken an die Opfer des KZ-Außenlagers Katzbach /Adlerwerke auf einem Friedhof als einem Ort des stillen Gedenkens für das Memento mori inadäquat ist.

Wir bitten Sie deshalb, die Grabinschrift zu redigieren und kurzfristig bei uns erneut einzureichen.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Heil
Ltd. Magistratsdirektor

LAGG e.V. Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim e.V., Frankfurt, 14.05.1997
Stellungnahme/Offener Brief

Stadt Frankfurt am Main Garten- und Friedhofsamt
Herrn Tom Königs
Mörfelder Landstr. 6
60275 Frankfurt a.M.

Unser Antrag auf Zustimmung für die Aufstellung eines Grabmales auf dem Hauptfriedhof der Grabstätte der Opfer des KZ-Außenlagers Katzbach /Adlerwerke in Gewann E, Nr. 157 mit folgendem Text:

Sehr geehrter Herr Königs,

mit Bedauern haben wir die Antwort Ihres Magistratsdirektors Herrn Heil auf unseren Antrag erhalten, worin zwar grundsätzlich der Aufstellung eines Grabmales zugestimmt wird, jedoch nur unter der Bedingung, aus dem von uns vorgesehenen Text die Passage "unter Mitverantwortung der Aktionäre und der Dresdner Bank" wegzulassen.

Wenn die Ablehnung unserer Textpassage den Hintergrund hat, daß nicht nur die Aktionäre und die Dresdner Bank die Verantwortung für die im KZ-Katzbach / Adlerwerke geschehenen Greueltaten getragen haben, sondern das NS-Regime und viele andere daran ebenso beteiligt waren, stimmen wir Ihnen zu und werden uns bemühen, den Text entsprechend zu verändern bzw. zu ergänzen.

Wir finden es aber nicht richtig die von Ihnen abgelehnte Textpassage zu streichen. Unserer Auffassung nach haben die Aktionäre, wie die Dresdner Bank, einen finanziellen Nutzen durch die im KZ-Katzbach /Adlerwerke mit dem Tod von Menschen bezahlte Arbeit gezogen und müssen sich heute der Verantwortung stellen. Die Dresdner Bank hat unserer Aufforderung, die uns bekannten 11 Überlebenden des KZs wenigstens durch Zahlung einer angemessenen Summe für die erlittenen Qualen zu entschädigen, abgelehnt. Begründet hat der Vorstand der Dresdner Bank die Ablehnung damit, daß die Bundesregierung für derartige Anliegen zuständig sei und sie damals nur eine Kleinaktionärin ohne nennenswerten Einfluß gewesen sei. Diese Auffassung teilen wir nicht und haben daraufhin mehrmals versucht einen Gesprächstermin zu erhalten, um unsere Forderung verständlich zu machen. Gesprächstermine wurden zwar vereinbart, jedoch in allen Fällen kurzfristig von der Dresdner Bank abgesagt. Wir sind nicht der Meinung, daß die Dresdner Bank auf diesem Weg aus der Verantwortung für die damaligen Greueltaten entlassen werden kann.

Mit dem Text auf dem Grabmal wollen wir zum einen über die damaligen Geschehnisse informieren und haben außerdem den Willen, jeglichen Ansätzen von faschistischem Denken und Handeln in der heutigen Zeit entgegenzuwirken. Dazu gehört in unseren Augen aber auch, Verantwortliche von damals zu benennen und Hintergründe zu beleuchten. Gerade ein Friedhof als Ort der Stille und des Gedenkens, ist unserer Meinung nach ein geeigneter Platz um über gestern und heute nachzudenken.

Wir möchten Sie bitten, die Ablehnung der Textpassage "unter Mitverantwortung der Aktionäre und der Dresdner Bank" unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme neu zu entscheiden.

Mit freundlichem Gruß
LAGG, Angela Grünzel, Lothar Reininger

Stadt Frankfurt am Main
Tom Koenigs
Dezernent für Umwelt, Energie und Brandschutz, Frankfurt am Main, den 23. Juli 1997

Gedenkstein für Zwangsarbeiter der Adler-Werke

Sehr geehrte Frau Grünzel, sehr geehrter Herr Reininger,

seit Ihrem Offenen Brief vom 13. Juni ist einige Zeit vergangen. Sicher haben Sie jedoch Verständnis, daß ich vor einer Entscheidung zur Inschrift des Gedenksteins für die KZ-Häftlinge aus dem Lager Adlerwerke / Katzbach zunächst dem Vorstand der Dresdner Bank AG eine Gelegenheit zur Stellungnahme geben wollte. Inzwischen liegt mir eine Antwort auf mein Schreiben an den Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG, Herrn Jürgen Sarrazin, vor, die ich Ihnen gerne in meinem Dienstzimmer zugänglich mache.

Die Erwähnung der Aktionäre und der Dresdner Bank in der vorgeschlagenen Form erscheint mir für einen Gedenkstein auf einem Friedhof unpassend. Jenseits der Frage, ob die Dresdner Bank einen beherrschenden Einfluß bei den Adlerwerken besaß, wäre eine derartige Schuldzuweisung meines Erachtens mißverständlich, weil eine personelle Kontinuität damaliger Verantwortlicher und heutiger Mitarbeiter nicht gegeben ist. Daß Institutionen unter denselben Namen wie früher weiter tätig sind, bedeutet allerdings eine besondere moralische Verpflichtung für die heutige Führung. Der heutige Vorstand sollte ein eigenes Interesse haben, die damalige Zusammenarbeit einzelner Verantwortlicher mit dem NS-Regime offenzulegen und die Mechanismen im Zusammenspiel von Wirtschaft und Diktatur zu untersuchen. Die bisherige Unternehmensgeschichte der Dresdner Bank aus dem Jahr 1992, die mir Herr Sarrazin freundlicherweise hat zukommen lassen, macht es sich mit ihren pauschalen Rechtfertigungsversuchen allerdings zu leicht und ist in manchen beiläufigen Bemerkungen (“es ging etwas preußischer zu") peinlich verharmlosend.

Offenkundig hat die öffentliche Kritik anläßlich der Feierlichkeiten zum 125jährigen Jubiläum der Bank dem Vorstand jedoch zu denken gegeben. So hat die Dresdner Bank nun - wie bereits die Deutsche Bank vor ihr - ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, um ihre Geschichte während der NS-Zeit wissenschaftlich aufzuarbeiten. Ich gehe davon aus, daß auch die Rolle der Dresdner Bank bei den Adlerwerken Gegenstand dieser Untersuchung sein wird. In jedem Fall werden sich durch das Forschungsvorhaben in nächster Zeit immer wieder Anknüpfungspunkte ergeben, um das in den Adlerwerken begangene Unrecht öffentlich zu thematisieren und das Leid der Opfer im Bewußtsein der Frankfurter Bevölkerung wachzuhalten, was ich für wichtig halte.

Provokationen und Pointierungen sind oft unerläßlich, um notwendige Debatten überhaupt in Gang zu bringen. Insofern hat bereits Ihr Vorschlag für eine Inschrift einiges bewirkt. Die weitere Aufklärung, welche Rolle die Dresdner Bank AG und ihr damaliger Vorstandsvorsitzender Carl Goetz bei den Adlerwerken gespielt haben, kann jedoch meines Erachtens nicht auf einem Gedenkstein und auf einem Friedhof geleistet werden. Man würde sich immer dem Vorwurf unzulässiger Verkürzung aussetzen. Außerdem müßte man sich auf eine - wenig ertragreiche - Debatte über Stilfragen gefaßt machen, die dem eigentlichen Anliegen - dem Gedenken an die Opfer - nur schaden könnte. Deshalb kann ich mich nur der Bitte von Herrn Heil, dem Leiter des Garten- und Friedhofsamtes, anschließen, die Passage “unter Mitverantwortung der Dresdner Bank und ihrer Aktionäre" nicht auf den Gedenkstein zu meißeln.

Falls Sie und Ihre Gäste dies wünschen, bin ich gerne bereit, die Überlebenden des Lagers Adlerwerke anläßlich Ihres Besuchs in Frankfurt am 8. September zu begrüßen. Bitte lassen Sie mich wissen, was ich tun kann, damit Frankfurt das großzügige Angebot Ihrer Gäste zum gemeinsamen Erinnern und zur Versöhnung angemessen würdigt.

Mit freundlichen Grüßen
Tom Koenigs