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Anfang März 1945 wurden die angrenzenden Gleisanlagen des Hauptbahnhofes gezielt bombardiert; ab 9.3.1945 konnte das Produktionskommando nicht mehr beschäftigt werden, und die letzte Eintragung in der Werkstatistik nennt die Zahl von 874 Häftlingen. Deutsche Arbeiter begannen die Maschinen abzubauen. Jetzt ging es vor allem darum, die Häftlinge des KZ als Zeugen zu beseitigen. In der ersten Etappe der Evakuierung entledigte man sich der marschunfähigen Kranken – in einem Transport per Bahn. Zehn Tage später wurden die restlichen Häftlinge zu Fuß in den Tod geschickt.
Am Morgen des 16. März 1945 verließ ein Zug mit Kohlewaggons die Gleise bei der Fabrik. In ihnen lagen über 500 Menschen - Kranke und viele Sterbende. Drei Tage zuvor hatte man sie zu je 60 Mann in einen Güterwaggon gepfercht und die Waggons plombiert. Die Häftlinge litten grausamen Durst und Hunger und mussten ihre Notdurft in den Waggons verrichten. Schon in diesen drei Tagen und Nächten auf den Fabrikgleisen starb eine große Zahl von ihnen, und selbst die Toten wurden nicht aus den Waggons herausgenommen.
Kurze Zeit nach der Abfahrt wurde der Zug Ziel eines Tieffliegerangriffes. Die SS suchte Deckung und ließ die Häftlinge in den verschlossenen Waggons zurück. Die Angaben über die Zahl der Toten nach diesem Vorfall schwanken zwischen 50 und 300. Immer wieder geriet der Zug unter Beschuss. Keine Verpflegung, kein Wasser, keine Hilfe für die Verletzten – sieben Tage, nachdem der Zug verplombt worden war, am 23.3.45, erreichte der Transport das KZ Bergen-Belsen. Jozef Marcinkowski, ein ehemaliger Häftling, erinnert sich im Gespräch mit Ernst Kaiser und Michael Knorn (15.10.90): “Eine Gruppe von SS-Männern stand weit vom Zug entfernt und hielt sich Taschentücher vor die Nase. [...] Wir hörten die Aufforderung, die Waggons zu verlassen. Ich war der dritte, der aus eigener Kraft den Waggon verließ. Als schon keiner mehr ausstieg und alle Waggons genügend gelüftet waren, schauten die Deutschen hinein. Ich sah, wie einige von ihnen sich an den Kopf fassten und ihre Betroffenheit ausdrückten. In jedem Waggon lagen Berge von Leichen; nur die Mitte war frei, wenn man den Kot nicht rechnet.” Die Häftlinge erhofften sich bessere Bedingungen in Bergen-Belsen, doch schließlich, so Jozef Marcinkowski weiter, starben sie auch dort “wie die Fliegen”. Nach seinen Angaben überlebten nur acht Häftlinge aus den Adlerwerken.
Am 23.3.45 stand die Produktion in den Adlerwerken endgültig still. Am nächsten Abend gab Gauleiter Sprenger den Befehl zur Räumung. 350 Häftlinge wurden gezwungen die Stadt in Richtung Fechenheim zu Fuß zu verlassen. Das Ziel war Buchenwald bei Weimar. Als sie die Stadt im Rücken hatten, begann die SS zu schießen – auf die Kranken und die, die nicht mehr schnell genug waren. Bis zum Morgen wurden bereits 24 Häftlinge meist durch Kopfschuss ermordet, bevor die erste Wegstrecke in einem Waldstück in der Nähe von Hanau endete. Das war jedoch nur der Auftakt eines erbarmungslosen Todesmarsches. Vier weitere Nachtmärsche – tagsüber suchte die SS Schutz im Wald vor den Luftangriffen – folgten, während derer sich unglaubliche Gräuel abspielten. “Durch eine solche Hölle zu gehen, und danach normal weiterzuleben,” so Andrzej Branecki, einer der Überlebenden, ist nicht möglich. Marschunfähige Häftlinge hatten nur eine Chance, wenn sie von Kameraden untergehakt wurden und nicht zusammenbrachen oder entdeckt wurden.
Unter den Evakuierten befanden sich vermutlich 24 jüdische Häftlinge. Schon im Lager ging das Gerücht um, dass sie diesen Marsch nicht überleben sollten. Sie wurden zum Ziehen des Wagens mit den Kranken am Ende des Zuges abkommandiert, um sie völlig zu entkräften und dann zu erschießen. Kurz vor Marschende mussten Heinz Meyer und Heinz Aber auf einem jüdischen Friedhof ihre eigenen Gräber schaufeln. Einige Wehrmachts- und SS-Offiziere verhinderten aber ihre Erschiessung.
Die Strecke führte über Fechenheim, Dörnigheim, Hanau, auf der Reichsstraße 40 über Langenselbold, Gelnhausen, Wächtersbach, Schlüchtern, Neuhof, Eichenzell, Fulda, Hünfeld. Die Häftlinge bekamen praktisch nichts zu essen. Etliche versuchten zu fliehen, aber jeder, der auch nur einen Schritt aus der Reihe machte, wurde erschossen. Von Hünfeld wurden die Überlebenden mit Güterwaggons in das KZ Buchenwald gefahren. Dort kamen noch 280 Menschen an. Die SS trieb sie von hier in weiteren Evakuierungsmärschen nach Dachau. Nur knapp 40 Gefangene aus den Adlerwerken erreichten am 27. April Dachau und wurden 2 Tage später von der US-Army befreit.
Erkennungsmarke von Tadeusz Goralski, der auf dem Evakuierungsmarsch erschossen wurde
aus: Kaiser/Knorn Wir lebten und schliefen zwischen den Toten
Bis ins Jahr 1963 fand man die Erschlagenen und Erschossenen, die meist anhand einer Blechmarke mit der Werksnummer der Adlerwerke zu identifizieren waren. Man fand sie im Main, in zugeschütteten Gräben, bei Straßenbauarbeiten.
Verantwortlich für die Durchführung des Evakuierungsmarsches war die Lager-SS unter dem Kommandanten Franz. Der stritt nach dem Krieg jegliche Kenntnis von Erschießungen ab. Er behauptete, nichts vom Transport nach Bergen-Belsen gewusst zu haben und bestritt seine Teilnahme am Evakuierungsmarsch. Zwei Häftlinge bestätigten in übereinstimmenden Aussagen, dass er Häftlinge eigenhändig mit der Pistole im Straßengraben erschoss. Die jeweiligen Verfahren gegen ihn wurden eingestellt, und er starb unbehelligt 1985.
Unabhängig voneinander konnten Häftlinge auch weitere SS-Männer nennen, die geschossen hatten; darunter den SS-Koch Martin Weiß. Der vielfache Mörder starb unbehelligt 1995 in Rumänien, gedeckt und beschützt von der deutschen und rumänischen Justiz.