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Lagerkommandant SS-Hauptscharführer Franz im März 1944 im Rang eines Oberfeldwebels
aus: Kaiser/Knorn Wir lebten und schliefen zwischen den Toten
Mitte August 1944 traf der Kommandoführer des KZ-Außenlagers, SS-Hauptscharführer Erich Franz in den Adlerwerken ein. Er war 30 Jahre alt und kam aus Österrreich, Sohn eines Militärbeamten, von Zivilberuf Filialleiter bei einer österreichischen Delikatessenkette. Am 1.5.1938 war er der NSDAP beigetreten und seit 1939 Angehöriger der Wehrmacht. Erfahrung in der Gefangenenbewachung hatte er in einem französischen Kriegsgefangenenlager gesammelt, bevor er in einem Fronteinsatz in Russland Anfang 1943 verwundet und mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet wurde. Vom Lazarett kam er ins Ersatzheer und von dort Anfang August 1944 in den SS-Totenkopfsturmbann Natzweiler, wo er seinem militärischen Dienstrang als Oberfeldwebel entsprechend zum SS-Hauptscharführer ernannt wurde. Im KZ Natzweiler schulte und instruierte man ihn 14 Tage lang für seine Aufgaben als Lagerkommandant.
Franz war Vorgesetzter der SS-Bewachungsmannschaft des KZ Adlerwerke. In allen Häftlingsangelegenheiten war er allein verantwortlich und der Kommandantur meldepflichtig. Er führte die Schreibstube, zu der er Häftlinge als Dolmetscher und für Büroarbeiten heranzog, ernannte die Kameradenpolizei (Kapo) und teilte die Häftlinge ab Herbst 1944 auch als Arbeitseinsatzführer zur Arbeit ein. Die Disziplinarstrafgewalt über die Häftlinge (Verhängung von Prügel- und Arreststrafen) befand sich in seiner Verantwortung. In Fällen, die mit Todesstrafe geahndet wurden, hatte er Meldung an das Stammlager respektive das RSHA zu machen und von dort ergangene Befehle auszuführen – bei Fluchtversuchen herrschte Standrecht.
Die Adlerwerke waren für die Lieferung der Häftlingsverpflegung zuständig. Die Verteilung lag in der Zuständigkeit der SS-Lagerverwaltung, die die Lebensmittel und Zigaretten unterschlug, verprasste, verschacherte oder in Alkohol umtauschte – die Leitung der Adlerwerke sah dabei zu. Eine Zeugin 1946: Lagerkommandant Franz “habe stets etwas zu trinken und zu rauchen gehabt” – er nutzte wohl seine Branchenkenntnisse für das Verschieben von Lebensmitteln. In seiner Vernehmung vor der Wiener Staatsanwaltschaft am 30.9.64 stellt Franz dar, dass er sich permanent bei der Leitung der Adlerwerke um eine Verbesserung der Verpflegung für die Häftlinge bemüht hätte. Er benennt mehrmals die wachsende Belegungsstärke bei gleichbleibenden Zuteilungen als Ursache für das Sterben hunderter Häftlinge. Er streitet auch die tatsächliche Belegstärke von über 1000 Häftlingen im Oktober 1944 und Anfang Februar 1945 ab und behauptet, dass niemals mehr als 300 bis 400 Häftlinge im KZ waren und kaschiert damit die extreme Unterversorgung.
Franz hatte bei der Verhängung von öffentlichen Prügelstrafen völligen Ermessensspielraum, und viele der erschöpften und entkräfteten Häftlinge starben nicht nur an Hunger und Krankheiten, sondern auch an den Schlägen. Dass ihm die Vernichtung der Häftlinge nicht schnell genug ging, bestätigen auch seine Begrüßungsworte Anfang Februar 1945 an neu eingetroffene Häftlinge: “Was soll ich mit solch einem Gelumpe, davon habe ich genug und keiner will verrecken” (aus einem Bericht des ehemaligen Häftlings Max Loock).
Häftlinge und Werksangehörige beschreiben Franz als eitel, arrogant und zynisch. Das brutale Verhalten der SS war nur mit seiner Billigung möglich. Bei Interventionen von Werksangehörigen gegen die permanenten Misshandlungen von Seiten der SS verbat sich Franz jede Einmischung und machte Meldung an die Gestapo. Dies berichten mehrere Zeugen/innen. Nach 1945 bestritt er, irgendeinen Namen seiner Untergebenen zu kennen und deckte alle Verbrechen. “Von Mißhandlungen durch die SS-Bewachungsmannschaft, die heute als unmenschlich bezeichnet werden könnten, habe ich nie etwas gehört und auch nichts gesehen.” (in der Vernehmung 1964)
Am 24.1.1945 wurden zwei Häftlinge wegen angeblicher Sabotage erhängt. Lagerkommandant Franz “war wohl bei dieser Hinrichtung zugegen”, hatte aber mit dieser Angelegenheit nicht im geringsten zu tun.” (in der Vernehmung 1964) Tatsächlich aber oblag ihm Antrag und Vollzug der Exekution sowie die Aufklärung über die Rechtmäßigkeit in Form eines “kameradschaftlichen Zusammenseins”.
Auf Fluchtversuch aus dem KZ stand die sofortige Hinrichtung, bei der Franz (so Zeugenaussagen) in vielen Fällen auch anwesend war. In seiner Vernehmung aber: “Fluchtversuche wurden hin und wieder unternommen, sie waren jedoch meistens erfolglos. Der nach der Flucht ergriffene Häftling wurde über meine Anordnung eine Zeitlang eingesperrt. Hinrichtungen wegen Flucht wurden von mir nicht angeordnet, da ich hierzu auch gar nicht befugt war.” Und ausdrücklich gefragt nach den Morden an Georgi Lebedenko und Adam Golub in aller Öffentlichkeit: “Von der von dem Zeugen behaupteten Erschießung von Häftlingen bzw. eines Häftlings auf der Lahnstraße [...] ist mir nichts bekannt geworden.”
Am Abend des 24.3.1945 um 22 Uhr gab Gauleiter Sprenger den Räumungsbefehl für Frankfurt, und Franz befahl sofort zum Appell. Noch in dieser Nacht begann der Evakuierungsmarsch, und Franz war an der Spitze des Zuges. Ludwig Eigner, ein ehemaliger Häftling, sagte am 20.4.1961 bei der KP Wien aus, dass sämtliche Erschiessungen “über Auftrag des Kommandanten Franz” ausgeführt wurden. Der ehemalige Häftling Heinz Meyer hat nie vergessen, dass Franz ihm kurz vor Marschende mit den Worten: “Du Saujud, schaufel Dir Dein Grab!” befahl, eine Grube auszuheben. Ohne die Intervention von Wehrmachts- und SS-Offizieren wäre er gemeinsam mit einem anderen Häftling vermutlich erschossen worden.
Franz erschoss gleich am 1. Tag des Evakuierungsmarsches einen typhuskranken Häftling “eigenhändig im Straßengraben” (so die übereinstimmende Aussage zweier Häftlinge). Nach dem Krieg bestritt er dies und überhaupt jegliche Kenntnis von Erschießungen. Von dem Todestransport nach Bergen-Belsen wisse er nichts und bestritt selbst seine Teilnahme am Evakuierungsmarsch. Zunächst behauptete er, nur bis Februar 1945, dann, nur bis Anfang März überhaupt Lagerkommandant gewesen zu sein. Schließlich gab er an, am 22.3.45 mit dem Fahrrad aus dem Lager “geflüchtet” zu sein. Er hätte in Frankfurt-Höchst “Gewissensbisse” bekommen und sei deshalb am nächsten Tag zurück gekehrt. In diesem Zeitraum sei der Abtransport der kranken Häftlinge per Bahn abgeschlossen und die zu Fuß marschierenden Häftlinge seien schon weg gewesen. Diesen sei er hinterher gefahren und hätte sie am Mittag des 25.3.1945, kurz vor dem Verladen in die Güterwaggons, erreicht. Demnach könne er bei den Erschießungen nicht dabei gewesen sein. “Ob auf dem Marsch von Frankfurt/M. bis zu dem Ort, wo die KZ-Häftlinge in Eisenbahnwaggons verladen wurden, welche erschossen wurden und was der Grund für die Tötung allenfalls war, weiß ich nicht”, so Franz in der Vernehmung 1964. Keiner der Widersprüche in dieser Aussage, nicht einmal die falsche zeitliche Zusammenlegung des Bahntransportes mit dem Evakuierungsmarsch und dessen Verkürzung, führte zu kritischen Nachfragen der Justiz.
Im November 1947 stellte der Frankfurter Oberstaatsanwalt Dr. Kosterlitz das Verfahren gegen die Hauptverantwortlichen des KZ-Adlerwerke ein. Und nach einer “sorgfältigen Prüfung” des Stadtgesundheitsamtes hatte die Angelegenheit “soweit sie die Stadt betrifft, nunmehr ihre Erledigung gefunden” (Schreiben des Stadtgesundheitsamtes an die Stadtkanzlei vom 8.7.1948). 1958 sorgte der Skelettfund eines erschossenen KZ-Häftlings bei Dörnigheim für die Wiederaufnahme der Ermittlungen. Auch gegen Franz wurde ein Verfahren wegen Mordes eröffnet und - nachdem er 1964 “gefunden” war - an die Wiener Strafverfolgungsbehörden abgegeben. Es lagen nur wenige konkrete Tatanschuldigungen aus den Ermittlungen der Kripo von 1947 vor, da die Frankfurter Staatsanwaltschaft die Morde für nicht untersuchungswürdig befunden hatte. Die Zeugen waren mittlerweile überwiegend verstorben. Gerichtsverwertbare Zeugenaussagen ehemaliger Häftlinge, die zwar den Tathergang hätten wiedergeben können, aber meist die Namen ihrer Peiniger nicht kannten, waren 20 Jahre nach den Morden kaum zu erwarten
Franz bekannte sich nicht schuldig. Er konstruierte ein absurdes Lügengebäude über seine Rolle in den Adlerwerken und auf dem Evakuierungsmarsch. Dass zumindest ein Indizienprozess hinsichtlich der Erschießungen auf dem Evakuierungsmarsch hätte zu Stande kommen müssen, drängt sich angesichts der Widersprüche in seiner Aussage auf. Doch das Verfahren wurde 1967 sang- und klanglos eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Wien hielt auf Grund der Sach- und Beweislage die weitere Verfolgung des Beschuldigten für aussichtslos. Einen Beweisnotstand sah das Gericht schon durch das Ableben zweier Belastungszeugen als gegeben an. Die Hinzuziehung weiterer Zeugen, vor allem aus Polen, wurde nicht in Erwägung gezogen. Franz starb 1985, ohne noch einmal von der Justiz behelligt zu werden.
Zusammengestellt nach Kaiser/Knorn “Wir lebten und schliefen zwischen den Toten”