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Auf dem Dachboden des Werkes I der Adlerwerke waren nach der Evakuierung des Lagers laut Aussage eines Adler-Arbeiters “haufenweise” tote Häftlinge zurückgeblieben. Die damit verbundene Hoffnung ihrer nach Buchenwald getriebenen Kameraden, dass “die amerikanischen Truppen hier das beste Beweismaterial” (Bericht des Häftlings Max Loock an den Betriebsrat der Adlerwerke) vorfinden würden, erfüllte sich nicht. Als Einheiten der dritten US-Army am 28.3.1945 die Stadt besetzten, war das grausige Zeugnis bereits beseitigt. Die letzten 25 toten Häftlinge waren von den Adlerwerken in aller Eile am 25.3.1945 dem Hauptfriedhof übergeben worden. Die von der Vorstandssekretärin entgegen dem ihr erteilten Auftrag nicht vernichtete Akte zum Lager Katzbach verschwand unauffindbar aus dem Panzerschrank. Was vom Lagermobiliar übriggeblieben war, wurde von den Arbeitern als Brennmaterial verfeuert.
Beantragung von KZ-Häftlingen durch die Adlerwerke, 7. September 1944
aus: Kaiser/Knorn Wir lebten und schliefen zwischen den Toten
Die Genehmigung zur Wiederaufnahme der Produktion erhielten die Adlerwerke bereits am 26.7.1945.
Im Juli 1945 entdeckte ein amerikanisches Sonderkommando das Massengrab von elf beim Evakuierungsmarsch erschossenen KZ-Häftlingen in Dörnigheim. Mit einer Totenfeier wurden sie unter Beteiligung aller Gemeindeangehörigen einzeln beigesetzt.
Die amerikanische Militärbehörde beschlagnahmte am 31.7.1945 das Feuerbestattungsbuch des Frankfurter Hauptfriedhofs. Bei der Durchsuchung der Adlerwerke fand sie außerdem, die in der Schublade des Arbeitseinsatzingenieurs vergessene Häftlingsstatistik des Konzentrationslagers.
Am 3.8.1945 erhob ein amerikanischer Ermittlungsoffizier erste Anschuldigungen: „Die Arbeits- und Ernährungsbedingungen (der KZ-Häftlinge) waren so katastrophal, daß bei den Arbeitsleistungen, welche vom Werk und Wachmannschaften verlangt wurden, der Hungertod eine unausbleibliche Folge war. Hinzu kommt noch, daß die Häftlinge, welche nach kurzer Zeit körperlich so geschwächt waren, daß sie kaum noch auf den Beinen stehen konnten, bei Nichterfüllung der vorgeschriebenen Leistung buchstäblich totgeprügelt wurden.
Ernst Hagemeier, Generaldirektor der Adlerwerke
aus: Kaiser/Knorn Wir lebten und schliefen zwischen den Toten
... Die Hauptverantwortlichen – der Betriebsführer Ernst Hagemeier, die Personalchefs und Betriebsleiter – befinden sich heute fast alle noch im Werk und wollen mit dieser Sache nichts zu tun gehabt haben. Der Betriebsführer schiebt immer die Verantwortung auf diejenigen ab, welche direkt – aber immerhin mit seinem Einvernehmen – für die ‚Katzbachwerker‘ eingesetzt waren. Hagemeier ist, wie man stark behauptet, im Besitze eines grossen Teiles der Aktien und hat darum auch heute das größte Interesse, daß alles Unliebsame, was in den letzten Jahren im Werk vorkam, bemäntelt wird.”
Bereits am Tag zuvor hatte man den Abwehrbeauftragen Dr. Engelmann festgenommen, und noch am gleichen Tag wurden Generaldirektor Hagemeier und Arbeitseinsatzingenieur Viktor H. vom Counter Intelligence Corps (CIC) wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen verhaftet.
Im September 1945 wurde gegen den Generaldirektor Anklage erhoben wegen Mitwirkung am Tod und an der Misshandlung von ausländischen Arbeitern und KZ-Häftlingen.
Doch die Beweislage war problematisch, fast alle Unterlagen zum KZ Katzbach waren vernichtet worden. Erhalten blieben ausgerechnet die verhältnismäßig human klingenden “Grundsätze für die Behandlung der in den Adlerwerken vormals Heinrich Kleyer Aktiengesellschaft Frankfurt a. M. tätigen Gastarbeiter” von Ende 1943 über die Behandlung von ausländischen Häftlingen, die in Bezug auf die Zwangsarbeiter und nicht auf die KZ-Häftlinge formuliert waren und zudem auch kaum zur Anwendung kamen. Im Rahmen der Ermittlungen wurden die “Grundsätze” zu Hagemeiers Gunsten verwendet. Unter dem Vorzeichen der beginnenden Rücksichtnahme der amerikanischen Regierung auf NS-Industrielle war damit die Einstellung der Verfahren in greifbare Nähe gerückt.
Mit der Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung eines ehemaligen Dachau-Häftlings, das KZ Dachau habe in die Adlerwerke überwiegend kranke Häftlinge überstellt, bot sich Hagemeier die Möglichkeit, die hohe Sterblichkeit der Häftlinge im KZ Adlerwerke auf die SS im KZ Dachau abzuwälzen. Aus dem “Verdächtigen” Hagemeier wurde nun der “Zeuge” Hagemeier im Prozess gegen den SS-Arbeitseinsatzführer des KZ Dachau.
Aufgrund einer Anzeige der “Antifaschistischen Organisation Fechenheim” ermittelte im April 1945 parallel auch die Frankfurter Mordkommission zu den Mordfällen während des Evakuierungsmarsches in Frankfurt-Fechenheim und Dörnigheim. Zu diesem Zeitpunkt waren Hagemeier und Engelmann noch in amerikanischer Haft, so dass die Ermittlungen abgebrochen wurden.
Im März 1946 beauftragte der Oberbürgermeister Dr. Kurt Blaum das Stadtgesundheitsamt, die Ursachen der hohen Sterblichkeit im KZ Katzbach herauszufinden. Das Stadtgesundheitsamt kam zu dem Ergebnis, dass Fahrlässigkeit oder auch Verbrechen als Todesursache mit in Frage kommen. Auch der Oberbürgermeister erhielt diesen Bericht, er kam jedoch seiner Berichtspflicht an die amerikanische Stadtkommandantur nicht nach und leitete die Erkenntnisse nicht weiter. Vermutlich war seine eigene Vergangenheit (er war Wehrwirtschaftsführer) und seine bekannte Gleichgültigkeit gegenüber Verfolgten des NS-Regimes dafür der Grund.
Die Frankfurter Mordkommission kam zu der Erkenntnis: “Die Zustände in dem Arbeitslager waren katastrophal und in jeder Hinsicht menschenunwürdig. Es gab ein schlechtes, in Qualität und Quantität völlig unzureichendes Essen, was zur Folge hatte, daß die schon schwachen Körper der Häftlinge ganz verfielen. Die Unterbringung in fensterlosen Räumen, die dünne Bekleidung, ohne jede Möglichkeit, die Wäsche wechseln zu können, die Tatsache, daß das ganze Lager verlaust war und keine Möglichkeit erhielt, sich reinigen zu können, die unzulängliche Verpflegung und der Umstand, daß die Häftlinge bei jeder nur denkbaren Gelegenheit geprügelt, gestoßen und getreten wurden, bewirkten eine über jedes normale Maß weit hinausgehende Sterbeziffer unter den Häftlingen, die sich von Tag zu Tag steigerte und für die Zeit vom 26.10.44 bis 22.3.45 die Zahl von insgesamt 524 Toten erreichte. ... Die Vernehmung einiger Herren in leitender Position haben bisher, wie nicht anders zu erwarten war, nichts Belastendes für die Betriebsführung ergeben. Eine endgültige Klärung der Schuldfrage der Betriebsführung dürfte erst nach einer Zeugenaussage der Herren Hagemeier, Engelmann und der SS-Leute aus der Lagerführung möglich sein.” (Bericht der Kripo Ffm v. 6.12.1946)
Das Ergebnis dieser ersten Ermittlungen wurde von der Kripo an die Oberstaatsanwaltschaft beim Landgericht Frankfurt übergeben, zusammen mit der Anregung, einen Sondersachbearbeiter einzusetzen wie „in anderen größeren Sachen wie Hadamar, Eichberg usw.”. Doch das Verfahren wurde von der Oberstaatsanwaltschaft so lange verschleppt, bis Hagemeier und Engelmann aus amerikanischer Haft entlassen und ihre weitere Strafverfolgung aufgrund der Rechtslage ausgeschlossen war. Im November 1947 verfügte der Frankfurter Staatsanwalt Dr. Kosterlitz schließlich die Einstellung des Verfahrens, da es angeblich keine greifbaren Täter gab. In seiner Einstellungsverfügung heißt es über das Verhalten der Betriebsleitung der Adlerwerke, „... daß die Ernährungslage der Häftlinge wohl ausschließlich der zuständigen SS-Führung zur Last fällt. ... Auch hinsichtlich der Behandlung der Häftlinge während der Arbeitszeit hat sich die Leitung der Adlerwerke strafrechtlich nichts nachweisen lassen. Im Gegenteil haben die ... geführten Ermittlungen ergeben, daß Direktor Hagemeier oft ein menschliches Verständnis für die Lage der Häftlinge gezeigt und ihre Lage zu bessern sich oft bemüht hat, was in der Regel der Fälle an den SS-Bestimmungen und der starren Haltung der Bewachungsmannschaft gescheitert ist.” (Einstellungsverfügung vom 24.11.1947)
Der besonders von Oberbürgermeister Walter Kolb 1947 gewünschten Wiedereinsetzung Hagemeiers in seine Vorstandsaufgaben bei den Adlerwerken stand noch das Spruchkammerverfahren (das Entnazifizierungsverfahren) entgegen. Auf Grundlage der Erkenntnisse der Kriminalpolizei hätte Hagemeier als Hauptschuldiger eingestuft werden müssen, was die Einziehung seines Aktienpakets und ein jahrelanges Beschäftigungsverbot im Vorstand zur Folge gehabt hätte. Die Frankfurter Spruchkammer wertete jedoch die Einstellungsverfügung der Oberstaatsanwaltschaft als volle Rehabilitierung Hagemeiers, er wurde von vornherein als “minderbelastet” eingestuft.
Die Verteidigung Hagemeiers wartete mit einer sorgfältig ausgearbeiteten Verteidigungsschrift und mit 45 schriftlichen Aussagen von Entlastungszeugen auf (vom SS-General, Gestapochef, Nazi-Aktivisten, Wirtschaftsführer, Ministerialbeamten, leitenden Adler-Angestellten, einfachen Werksangehörigen bis hin zum Betriebsratvorsitzenden), Belastungszeugen gab es nicht. “Die im Krieg bei den Adlerwerken beschäftigt gewesenen Kriegsgefangenen, ausländischen Arbeiter und Häftlinge wurden mit derselben Sorgfalt und dem gleichen sozialen Empfinden betreut, wie die deutschen Arbeiter und Angestellten.” (Auszug aus der Verteidigungsschrift vom 8.1.1948)
Hagemeier wurde als “Mitläufer” entnazifiziert und musste lediglich eine Geldbuße in Höhe von DM 1000 zugunsten des “Wiedergutmachungsfonds” zahlen. Unmittelbar nach Rechtswirksamkeit des Spruchkammerurteils konnte der Generaldirektor im Juli 1948 wieder den Vorsitz im Vorstand der Adlerwerke einnehmen. 1954 feierte man beim festlichen Bankett in der Frankfurter Börse das 25jährige Dienstjubiläum Hagemeiers. Der alte und neue Aufsichtsratsvorsitzende Carl Goetz gehörte zu den erlauchten Rednern, die “die menschlichen Eigenschaften von Ernst Hagemeier in oft humorvollen Worten zu schätzen” wussten (FR vom 18.3.1954). Generaldirektor Hagemeier erhielt in diesen Jahren das Bundesverdienstkreuz. Er starb 1966.