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Lothar Reininger (Betriebsratsvorsitzender bei Triumph-Adler) erinnert sich:

“Dass es in den Adlerwerken ein KZ gab, wusste ich aus den Berichten alter Frankfurter Antifaschisten. Und Ende der 70er gab es eine Demonstration durch das Gallusviertel mit etwa 200 Teilnehmer/innen. Sie endete vor den Adlerwerken und wir brachten dort eine Gedenktafel an. Als ich später bei TA im Werkzeugbau arbeitete, war über das Thema der Mantel des Schweigens gebreitet, rührte man daran, musste man sich nicht nur von der Unternehmensleitung sondern auch von Betriebsratskollegen sagen lassen, man beschmutze das Ansehen des Traditionsbetriebes und schade dem Werk. Erst 1991 gelang es mir, das Thema richtig anzupacken. Zu diesem Zeitpunkt waren massenhaft Arbeitsplätze gefährdet – der Betrieb war Ende der 80er an Olivetti verkauft worden – und die Glaubwürdigkeit der Unternehmensleitung kippte. Über das KZ erzählten mir vor allem ältere Kollegen. Auch manche der Jüngeren wussten von ihren Vätern, die auch schon bei Adler gearbeitet hatten, etwas darüber. So erfuhr ich zum Beispiel, dass das Metalllager, in dem ich täglich ein und aus ging, während der Zeit des KZ als Leichenraum diente. Oder dass man mit der Beseitigung der Spuren keine Eile hatte. Die Blutspritzter an den Kellerwänden waren erst in den 50er Jahren übertüncht worden.

Im Herbst 1993 legten wir, ca. 20-30 Kollegen, an dem Grab der Opfer des KZ auf dem Hauptfriedhof öffentlich einen Kranz nieder. Die Kollegen hatten dafür ihre Arbeit - trotz Androhung arbeitsrechtlicher Sanktionen - unterbrochen und nahmen diese Auseinandersetzung in Kauf.

Überlebende mit der Gedenktafel

Enthüllung einer Gedenktafel in den Adlerwerken am 14. Dezember 1993 in Anwesenheit von überlebenden ehemaligen KZ-Häftlingen (von links nach rechts: Ryszard Oleg, Stanislaw Madej, Jan Kozlowski, Ryszard Kojer, Wladiyslaw Jarocki, Kazimierz Wlodarzcyk und Andrzej Cieslinski, dessen Vater im KZ ermordet wurde.)

Foto: Klaus Malorny

Als es die Stadt 1993 endlich geschafft hatte, die Überlebenden des KZ einzuladen, besuchten dann im Dezember neun von ihnen Frankfurt. Auf unsere Einladung kamen sie auch in die vom Verein LAGG in Eigenregie betriebene Kantine nach Griesheim (die Adlerwerke im Gallusviertel waren schon leer). An diesem Abend entschuldigten sich drei ältere der Adler-Kollegen bei den Überlebenden für das ihnen angetane Unrecht. Es entstand eine bis heute anhaltende Freundschaft.

Lothar Reininger im Gespräch mit der Initiative gegen das Vergessen im August 2004