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Erinnerungen von
Ryszard Olek

Er fuhr mit blutendem Herzen zu den Einladungen nach Frankfurt. “Ich musste über meinen eigenen Schatten springen. Noch bis vor Kurzem schnürte sich mein Herz bei jeder deutschen Silbe, die ich hörte, zusammen.” (in einem Artikel der Zeitung “Zycie” [das Leben] vom 2.11.97 von Zofia Uszynaska)

Ryszard Olek

Ryszard Olek beim Besuch in Frankfurt 1997

Foto: K.H. Müller

“Ich habe zu Anfang an der Schleifmaschine und dann an der Bohrmaschine gearbeitet. Nach einer Weile habe ich schon eine nasse Hose gehabt, weil die Geschwüre an den Beinen aufgegangen sind. Da kam so ein Hitler-Deutscher und sagte: ‚Arbeiten, schneller arbeiten.‘ Ich habe gesagt: ‚Nichts Essen, nichts arbeiten‘, halb polnisch, halb deutsch. Er holte einen SS-Mann. Der brachte mich in einen Duschraum und hat mich mit dem Gewehrkolben verprügelt. Er wollte mir damit auf den Kopf schlagen, wollte mich töten. Ich habe mir die Hände über den Kopf gehalten. Aber er hat mich nicht getötet, weil es ihm in der Halle vielleicht nicht recht war. Beim Abendappell hat man meinen Namen gerufen. Ich musste den ganzen Abend während des Essens in einer gebückten Haltung stehen. Es stand ein SS-Mann dabei. Wenn ich umgefallen wäre, so hätte er mich erschossen.”

“Um so einen Kolben zu machen, musste man an der Schleifmaschine schleifen. Wenn so ein Kolben kaputtgegangen wäre, wenn ich etwas falsch gemacht hätte, wäre ich erschossen worden. An der Maschine konnte man durch Überschleifen kleine Fehler machen. Sie haben das sehr, sehr bestraft.” Eine weitere Erfahrung dazu: “Ich bin einmal eingeschlafen und da ist der Schleifstein kaputtgegangen. Damals hat der Deutsche (Meister) mich gerettet. Er hat einige Steine gebracht und es wieder gut gemacht – niemand hat davon etwas gehört.”

Zum Umgang mit Verwundeten nach den Bombenangriffen: “Man hat diese Verbände überhaupt nicht mehr erneuert. In diesen Wunden haben sich Infektionen gebildet, mein Freund ist auf diese Weise gestorben. Es kamen die Läuse in die Wunde und haben ihn praktisch lebendig aufgefressen.”

Ryszard Olek entschloss sich während des Todesmarsches zur Flucht. “Es fiel gerade Schnee, mit Regen vermischt. Neben uns war Wald. Der Weg führte bergab ...” Er ist gelaufen, er weiss nicht mehr wie. Es ist ihm auch nicht mehr erinnerlich, wieviele Tage er im Gebüsch verbracht hat. Aus Verzweiflung wollte er sich der SS stellen. “Und danach bin ich zu einem Deutschen, der auf dem Feld arbeitete, hin und bat ihn, er solle mich der SS melden, weil ich ein Pole bin, ein Bandit und aus dem Lager ausgebrochen. Da antwortete der Deutsche, dass es an dieser Stelle keine SS gäbe, sondern Amerikaner. Daraufhin bat ich ihn um ein Stück Brot.” Man brachte ihm einen Laib Weissbrot. “ich habe ihn in den Händen gedreht, und ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich nicht wusste, ob ich ihn essen sollte, da ich an meinen hungrigen Vater und an meinen hungrigen Bruder dachte.” Der Bruder lebte damals schon nicht mehr. Von seinem 20jährigen Bruder Zdzislaw berichtet er, dass dieser ein hilfsbereiter und mutiger Mann war, der sich im Lager sogar einmal gegen einen SS-Mann zur Wehr gesetzt hatte. Während des Evakuierungsmarsches stützte er einen an Typhus erkrankten jüdischen Häftling gemeinsam mit dessen Sohn – ein verzweifelter und letztlich gescheiterter Versuch, ihn vor dem bereits lauernden SS-Mann zu schützen. Er steckte sich dabei mit Typhus an und wurde deshalb später selbst erschossen.

Alle Zitate – bis auf das obere – in: Kaiser/Knorn “Wir lebten und schliefen zwischen den Toten”

Zu den Erinnerungen von Kazimierz Wlodarczyk