Gegen das Vergessen: Übersicht < Menschen < die KZ-Häftlinge < Biografien und Erinnerungen < Wladislaw Jarocki
“Ein Gefangener hatte kein Recht, etwas zu wissen. Also stellte ich keine Fragen. Uns wurde gesagt, wir sollen nicht denken. Wir kannten keine Namen. Man hat die Nummern geschrien, und man musste auf diese Nummer raustreten. Wenn nicht, dann gab es Prügel.”
Zur Läuseplage im Lager äußert er: “Die Fingernägel haben wir uns mit den Zähnen abgeknabbert, damit wir uns nicht kratzen konnten. Jede Wunde heilte nicht mehr.”
Der Massentod war ein alltägliches Ereignis. “Wenn es hieß: Alles antreten, und der sich nicht bewegte, wusste man Bescheid. Es ging immer ein Totenkommando herum, die haben durch die Pritschen gesehen. Die haben die Männer heruntergezogen und die Leichen fielen auf den Boden.”
Am 24. März 1945 im ersten Nachtmarsch des Todesmarsches nach Buchenwald gehörte er zu den Häftlingen, die den “Krankenwagen” am Ende des Zuges ziehen mussten und entging nur knapp dem Tod. “Man hat uns aus den letzten fünf dazu ausgewählt. Ich wusste im Unterbewusstsein, dass ich mich retten musste, denn ich sah keine Chance bei so vielen Kilometern, den Wagen bis nach Buchenwald zu ziehen. Das war unmöglich. Bei einer der ersten Pausen unter einer Brücke oder einem kleinen Tunnel, es war Nacht, habe ich mich in die Gruppe [Marschkolonne] reingeschlichen. Das war sehr riskant. Als wir die Stadtgrenze hinter uns gelassen hatten, hörte ich hinter mir die Maschinenpistolensalven. Ich kannte das, weil ich selber eine Maschinenpistole hatte [während des Warschauer Aufstandes]. Die Schüsse gingen auf die, die auf dem Wagen lagen und auch auf die, die den Wagen gezogen haben. Und so begann es.” Die vier oben stehenden Zitate aus: Kaiser/Knorn “Wir lebten und schliefen zwischen den Toten”
Seine Befreiung erlebte er im KZ Buchenwald. “Können Sie sich vorstellen, was das damals für mich bedeutete? Zum Beispiel, dass ich drei Schritte links oder rechts gehen kann. Dass ich mich nicht mehr melden muss, um zur Toilette zu gehen.” (in einem Artikel der Zeitung “Zycie” [das Leben] vom 2.11.97 von Zofia Uszynska)
In der Zeit nach der KZ-Haft sprach er, wie die meisten ehemaligen Häftlinge, nicht über seine Erlebnisse. Aber in seinen Träumen ließen ihn die Erinnerungen nicht los. “Da waren makabre, schwarz-weiße Bilder. Vor Angst pochte das Herz im Halse.” Auf die Frage, ob er heute keine Angst mehr habe sich zu erinnern, antwortet er: “Ich wollte sehen, wie der Platz heute aussieht, an dem ich die Hölle erlebt habe, wo die Menschen ihre Würde verloren haben, welche Menschen heute dort leben.” Und zu seinen Erfahrungen während des Besuches im September 97 in Frankfurt: “Wir waren von herzlichen Deutschen umgeben. Jenen, die sich selbst nicht vergeben können, dass es in ihrer Stadt ein Konzentrationslager gab. Diejenigen, die sich an ihre eigene Geschichte ungern erinnern, sind zu unseren Treffen nicht erschienen. Zu den Treffen kommen Menschen der mittleren und jungen Generation.” Die Reisen nach Frankfurt sieht er als seine Pflicht an. “Wir sind lebendige Zeugen dessen, was auch die nächsten Generationen treffen kann.” Mit viel Unruhe beobachtet er die neue Entwicklung des Faschismus in Deutschland und Europa. “Brechts Worte sind leider aktuell.” (aus “Zycie”)
Alle nicht extra ausgewiesenen Zitate aus Kaiser/Knorn, Wir lebten und schliefen zwischen den Toten
Zu den Erinnerungen von Ryszard Kojer und Zygmunt Kaczmarski