Gegen das Vergessen: Übersicht < Aktionen < Gedenkfeier < Rede von Frau Petersohn
7. September 1997
Sehr geehrter Herr Kozlowski,
sehr geehrte Frau Jarocki und sehr geehrter Herr Jarocki,
sehr geehrter Herr Kosinski,
sehr geehrte Frau Madej und sehr geehrter Herr Madej,
sehr geehrter Herr Olek,
sehr geehrter Herr Branecki,
sehr geehrter Herr Cieslinski,
sehr geehrter Herr Meyer,
verehrte Trägerinnen und Träger (der Johanna-Kirchner-Medaille),
verehrte Anwesende!
Ich freue mich, Sie im Namen des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung hier im Frankfurter Römer, im historischen Kaisersaal, herzlich begrüßen zu dürfen. Seien Sie in unserer Stadt, die Ihnen so viel Leid angetan hat, besonders willkommen. Mir ist bewußt, daß ein solcher Empfang in keiner Weise angemessen ist, die Erinnerung an Ihr Leid im KZ-Katzbach zu mildern. Aber nehmen Sie das Bewußtsein mit, daß der heutige Magistrat der Stadt Frankfurt am Main alles in seinen Kräften stehende tun wird, daß solche Greuel, wie Sie sie erlebt haben, nie wieder geschehen können.
Sicher, erst jetzt, über 50 Jahre nach Ende des Dritten Reiches, der Nazidiktatur, sind wir so weit, überall in unserer Stadt die grauenvollen Geschehnisse in der Zeit des Faschismus aufzudecken und den nachkommenden Generationen durch Erinnerungstafeln ein Zeichen zu geben, was alles in unserer Stadt geschehen konnte.
Sie sind gestern auf dem Hauptfriedhof zu einer Gedenkveranstaltung für die Toten des KZ-Adlerwerke zusammengekommen und haben einen Gedenkstein eingeweiht. Ich bin erschüttert darüber, daß diese Veranstaltung und dieser Gedenkstein nicht durch die Stadt, sondern durch eine private Initiative durchgeführt und gestaltet wurde.
Deshalb mein ganz besonderer Dank an die Initiatoren der LAGG »Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim", an den DGB, die IG Metall und die VVN. Sie haben das in die Hand genommen, was eigentlich unsere Aufgabe gewesen wäre.
Wichtig aber ist, daß es diese Veranstaltung gestern, Ihren Besuch in unserer Stadt und den heutigen Besuch im Römer überhaupt gibt. Deswegen Ihnen, verehrte Gäste, Danke für Ihre Reise nach Frankfurt am Main, in diese Stadt, die Ihnen und Ihren Angehörigen soviel Grausamkeiten zugefügt hat.
In Vorbereitung zum heutigen Empfang habe ich mich in das Buch von Herrn Knorn und Herrn Kaiser eingelesen. Ich gestehe, daß ich es vorher auch nicht kannte. Aber jetzt bin ich der Meinung, daß das Buch »Wir lebten und schliefen zwischen den Toten" zur Pflichtlektüre jedes Frankfurter Bürgers, jeder Frankfurter Bürgerin und vor allem jedes Politikers werden müßte. Vor allen Dingen sollten die Lehrerinnen und Lehrer sich dieses Buches für Unterrichtszwecke in den Schulen annehmen.
Es ist viel zu wenig bekannt, was in der Zeit vom 21. August 1944 bis zum Räumungsbefehl am 24. März 1945 im KZ Katzbach der Adlerwerke geschehen ist. Die Zahlen sprechen für sich: Ende Oktober 1944 betrug die Höchstbelegung des für 1000 Häftlinge konzipierten Lagers Katzbach 1139 KZ-Häftlinge. Bei der Evakuierung im März 1945 waren es nur noch ca. 350 Häftlinge. Das KZ Buchenwald erreichten nur 280 Häftlinge, doch nur von 40 Menschen weiß man sicher, daß sie das Ende des Dritten Reiches erlebt haben.
Hinter diesen nackten Zahlen stehen grauenvolle Zustände im Lager, grauenvolle Taten der SS, grauenvolle Versäumnisse der Adlerwerke. Die Brutalität der Wachmannschaften ist in Worte gar nicht zu fassen.
Besonders kennzeichnend für die Zustände im KZ Katzbach sind die Zeugnisse derjenigen Häftlinge, die aus anderen KZs hierher verlegt wurden. Sie sagten übereinstimmend aus, daß es so furchtbar wie bei den Adlerwerken in keinem anderen KZ war. Das spricht für sich. Die 528 Toten auf dem Hauptfriedhof sprechen ebenfalls ihre eigene Sprache, zeugen sie doch von der Unmenschlichkeit im KZ Katzbach der Adlerwerke.
Ich will es bei diesen wenigen Erinnerungen belassen, um es Ihnen nicht noch schwerer zu machen. Doch ich bin sicher, wir müssen immer wieder an die Schrecken an das Grauen während der Nazidiktatur erinnern, vor allem die Nachkommenden daran erinnern, damit deutlich wird, was Faschismus bedeutet. Wir müssen es ihnen deutlich machen, damit sie nicht den wieder aufgekommenen rechtsextremen Rattenfängern aus Unkenntnis hinterherlaufen.
Es ist nicht nur in diesem Zusammenhang beschämend, daß wir im Frankfurter Stadtparlament eine rechte Gruppierung sitzen haben. Gerade nach dem Eindruck der Schilderungen in dem Buch »Wir lebten und schliefen zwischen den Toten" sollte es doch für jeden Bürger, für jede Bürgerin dieser Stadt, in der solches geschehen ist, unmöglich sein, rechts zu wählen. Deshalb noch einmal: Wir müssen es tun, um unsere Bevölkerung vor den Folgen einer rechtsextremen Politik zu warnen, wir müssen klarmachen, daß ein solches Grauen nie wieder geschehen darf.
Es darf nicht wieder geschehen, daß Bürgerinnen und Bürger mitmachen, nichts sehen, nichts hören und nicht sprechen wollen. Daß dies nicht alle getan haben, davon zeugen die hier anwesenden Trägerinnen und Träger der Johanna-Kirchner-Medaille. Es gab auch andere, wenn auch wenige, die nicht wegsahen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten halfen und sich wehrten. Auch die Verleihung dieser Medaille haben wir viel zu spät begonnen, im Jahre 1991. Viele, die sich wehrten, die halfen und damit zeigten, daß es unter der Unmenschlichkeit des faschistischen Regimes auch Menschlichkeit gab, waren inzwischen verstorben. Deshalb stellvertretend für diese, Ihnen, die Sie heute hierher gekommen sind, Danke für das, was sie getan haben.
Die Medaille trägt die Inschrift: »In Würdigung des Widerstands gegen die NS-Nazidiktatur". Ich erwähne das heute, in diesem Zusammenhang, um Ihnen, verehrte Gäste, zu zeigen, daß wir auch mit dieser Ehrung zu spät angefangen haben und daß es trotz alledem auch andere Menschen gegeben hat, wie Sie sie erlebt haben.
Verehrte Gäste, der LAGG »Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim" merkt kritisch an, daß die Gedenktafel, die am 14.12.1993 an den Adlerwerken angebracht wurde, bereits am nächsten Tag wieder entfernt wurde. Frau Stadträtin Reisch hat in ihrer Rede am 14.12.1993 gesagt, daß die Anbringung der Gedenktafel vorerst nur provisorisch ist, weil auf dem ehemaligen Gelände der Adlerwerke größere Umbauten stattfinden. Inzwischen hat das Gelände und das Gebäude einen neuen Besitzer. Im Augenblick wird die Fassade der Adlerwerke renoviert. Diese Arbeiten sollen Anfang des nächsten Jahres abgeschlossen sein. Der neue Besitzer, wird die 1993 geschaffene Gedenktafel an das KZ-Katzbach im Frühsommer nächsten Jahres wieder anbringen lassen. Die Gedenktafel wird zur Zeit beim Künstler aufbewahrt. Ich kann Ihnen versichern, daß der Magistrat der Stadt darauf achten wird, daß diese Gedenktafel wieder angebracht und einen würdigen Platz an der Fassade der Adlerwerke erhält.
Wir wollen nicht vergessen, wir wollen erinnern an das, was in unserer Stadt, in unserem Land geschehen konnte: Verehrte Gäste, damit bin ich bei dem Gedenkstein, der gestern eingeweiht worden ist. Die von der LAGG gewünschte Inschrift stieß auf den Widerspruch des Garten- und Friedhofamtes, die Passage »unter Mitverantwortung der Aktionäre der Dresdner Bank" soll unterbleiben.
Trotz Ihrer berechtigten Forderung, mit dieser Passage auf die Verantwortung der Dresdner Bank hinzuweisen, schließe ich mich der Auffassung von Herrn Stadtrat Königs an, der die Erwähnung der Aktionäre und der Dresdner Bank in der vorgeschlagenen Form für einen Gedenkstein auf dem Friedhof für unpassend hält. Verstehen Sie mich richtig: Ich spreche auch die Nachfolger der damaligen Verantwortlichen der Dresdner Bank nicht von der Verpflichtung frei, zu ihrer Verantwortung, zu ihrer Geschichte zu stehen. Der Historiker Christopher Kopper erhebt Vorwürfe gegen die Tätigkeit der Banken in der NS-Zeit, besonders schwere Vorwürfe gegen die Dresdner Bank, die während der Nazizeit an der »Arisierung" von Mitbewerbern und Unternehmen verdient hat. Die entstandene Diskussion, die durch Ihre Forderung, die Dresdner Bank auf dem Gedenkstein zur Verantwortung zu ziehen, halte ich für richtig. Vor allen Dingen auch deshalb, weil gerade die Dresdner Bank in ihrer Unternehmensgeschichte von 1992 mit pauschalen Rechtfertigungsversuchen alles zu verharmlosen sucht.
Ich unterstütze voll die Anregung von Stadtrat Königs an die Dresdner Bank, durch eine Spende des Bankinstituts an die nur wenigen überlebenden Opfer, also an Sie, verehrte Gäste, zu ihrer Geschichte zu stehen. Es wäre ein Zeichen, daß sich die Dresdner Bank nicht aus ihrer Verantwortung in Nachfolge der Verantwortlichen der Bank in der NS-Zeit stiehlt.
Die Dresdner Bank hatte, wie der Historiker Kopper feststellt, bereits ab 1936 eine »Arisierungsabteilung". Das kann man nicht verschweigen, dazu muß man stehen und die Konsequenzen daraus ziehen. Eine Konsequenz wäre die angeregte Spende an Sie, die Überlebenden des KZs Katzbach.
Verehrte Gäste, lassen Sie mich noch einmal auf den gestern eingeweihten Gedenkstein zurückkommen. Ich finde die Inschrift, wie sie jetzt lautet, würdig der Opfer:
»Zum Gedenken: Hier ruhen 528 Menschen. Sie starben zwischen August 1944 und März 1945 in den Adler-Werken in Frankfurt am Main. Sie wurden durch Arbeit, Zwangsarbeit, vernichtet. Sie verhungerten, starben an Entkräftung, an unbehandelten Krankheiten, wurden zu Tode geprügelt. Sie starben mitten in Frankfurt. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Bert Brecht."
Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dafür kämpfen, daß dieser Schoß, aus dem das Furchtbare kroch, nicht wieder fruchtbar werde. In bin sicher, daß wir damit die Opfer des Faschismus, die Opfer des Naziregimes in allerbester Weise würdigen.
Verehrte Gäste, verehrte Anwesende, danke für Ihren Besuch hier bei uns in Frankfurt am Main. Ich wünsche es Ihnen sehr, daß Sie mit dem Eindruck nach Hause zurückfahren, daß die Menschen, mit denen Sie es während Ihres Aufenthaltes zu tun hatten, einschließlich des Magistrats der Stadt, mit dem Anliegen ernst meinen, Ihre und die Leiden Ihrer Angehörigen nicht zu vergessen.
Mein Dank gilt Ihnen, verehrte Gäste aus Polen und Hamburg, die Sie in unsere Stadt gekommen sind, in deren Mauern Sie so viel Schreckliches erlebt haben.
Ich danke Ihnen.