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Gedenkfeier am 6. September 1997 auf dem Hauptfriedhof Frankfurt am Main

Zwischen dem 5. und 8. September 1997 besuchten die ehemaligen Häftlinge des KZ Adlerwerke, Wladyslaw Jarocki, Heinz Meyer, Jan Kozlowski, Stanislaw Madej, Ryszard Olek, Andrzej Branecki und Kajetan Kosinski auf Einladung des Vereins Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim die Stadt, in der sie von September 1944 bis März 1945 nur Hunger, Krankheit, Gewalt und Tod kennengelernt hatten. Stanislaw Madej und Wladyslaw Jarocki kamen zusammen mit ihren Frauen. Es kam außerdem Andrzej Cieslinski, Sohn des ermordeten KZ Häftlings Jan Cieslinski, der seinen Vater das letzte Mal im Alter von 12 Jahren gesehen hatte und erst in den neunziger Jahren erfuhr, dass sein Vater gemeinsam mit 517 KZ Häftlingen ein Grab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof hat.

Es war nicht das erste Mal, dass sie Frankfurt nach ihrer Befreiung wiedersahen, bereits 1993 waren sie auf Einladung der Stadt Frankfurt gekommen. Leicht ist es ihnen nicht gefallen, mit den Erinnerungen fertig zu werden. Trotzdem wollten sie kommen, um die Menschen in Frankfurt an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen; sie wollten dazu beitragen, dass der Nationalsozialismus nicht wiederkehrt. „Wir sind lebendige Zeugen dessen, was auch die nächsten Generationen treffen kann“, so Wladyslaw Jarocki gegenüber der polnischen Zeitung “Zycie“ vom 2.11.1997. Mit viel Unruhe beobachte er die neue Entwicklung des Faschismus in Deutschland und Europa.

Viele Menschen und Organisationen haben dazu beigetragen, dass der Besuch möglich wurde, sie haben sie herzlich empfangen, sie haben einen Teil der Kosten für Fahrt und Unterkunft sowie für eine würdige Gedenkfeier auf dem Hauptfriedhof getragen. Die jungen Polinnen Beata, Anja, Magda und Joanna haben uns die Verständigung ermöglicht und dabei selbst viel über die Geschichte gelernt. Vertreter der russischen Botschaft legten am Grab einen Kranz nieder. Mercedes van Gunsteren und Horst Schönwalder haben durch ihr Cellospiel die Gedenkfeier bereichert. Else und Heiner Halberstadt haben den Club Voltaire für unsere Gäste schon am Mittag geöffnet, ein leckeres Essen zubereitet und dabei Interessantes über die Geschichte des Clubs erzählt. Gastfreundlich nahm uns auch das Johanna-Kirchner Altenwohnzentrum auf, wo wir bei Kaffee und Kuchen intensive Gespräche führen und uns gegenseitig besser kennenlernen konnten.

Überlebende bei der Gedenkfeier zur Einweihung des Gedenksteins auf dem Frankfurter Hauptfriedhof.

Überlebende des KZ Adlerwerke bei der Gedenkfeier 1997. Sitzend von links nach rechts: Frau Jarocki, Wladyslaw Jarocki, Heinz Meyer, Jan Kozlowski, Frau Madej, Stanislaw Madej, Andrzej Cieslinski (Sohn des ermordeten KZ-Häftlings Jan Cieslinski), Ryszard Olek, dahinter stehend Andrzej Branecki.

Foto: Klaus Malorny

Bei der Gedenkfeier sagte Bernd Vorlaeufer-Germer vom DGB-Landesbezirk Hessen: „Bezeichnend ist, wie man bei uns immer noch mit den Opfern des Nationalsozialismus umgeht, den wenigen heute noch lebenden KZ-Häftlingen besonders aus dem Osten. Seit über einem halben Jahrhundert weigert sich nun schon unser Staat, diesen in unserem Namen gequälten Menschen eine angemessene Entschädigung sowie eine Rente zu zahlen. Ganz im Gegensatz zu den Kollaborateuren und Mittätern, z.B. aus den baltischen Ländern, die in der Waffen-SS dienten. Diese erhalten eine üppige Versorgungsrente aus Deutschland. Eine schreiende Ungerechtigkeit. ... Wieso gab und gibt es keinerlei Wiedergutmachung für die vielen Millionen Zwangsarbeiter? Sollen sie alle erst auch noch sterben, damit man sich damit seiner Verantwortung ganz entledigen kann? Mit den Gewinnen aus ihrer Sklavenarbeit während des zweiten Weltkriegs hatten Firmen und Banken später im Nachkriegsdeutschland eine gute Basis, um weiterarbeiten zu können. Sie müssen dafür verantwortlich gemacht werden! Wir alle müssen sie dazu zwingen, endlich Farbe zu bekennen, und auch entsprechende Entschädigungen zu zahlen!“

Klaus Willkomm-Wiemer von der IG Metall Frankfurt sprach auch über die Haltung in den eigenen Reihen: „Es darf nicht sein, dass über die Vernichtung von 528 Menschen durch Zwangsarbeit in den Adlerwerken ein Mantel des Schweigens gelegt wird, wie dies auch mit Beteiligung von Betriebsräten bis Anfang der 90er Jahre geschah!“

Hans Georg Böttcher von der Roma-Union Frankfurt zog Parallelen zwischen der Zensur des Garten- und Friedhofsamtes gegenüber dem Hinweis auf die Mitverantwortung der Aktionäre und der Dresdner Bank auf dem Gedenkstein und der jahrelangen Weigerung der Stadt, am Gesundheitsamt in der Braubachstraße eine Gedenktafel für die Opfer der Roma und Sinti anzubringen. Grund für die Weigerung war die Nennung der Namen Justin und Ritter, die an der Selektion der Roma und Sinti wesentlich beteiligt waren und nach 1945 wieder von der Stadt im Gesundheitsamt angestellt wurden.

Für den Verein LAGG sprach Lothar Reininger, ehemaliger Betriebsrat der Adlerwerke. Er sagte: „Jahrzehnte lang wurde der Mantel des Schweigens über die Greueltaten in den Adlerwerken gehüllt. ... Dies zu ändern war u.a. die Zielsetzung des 1992 gegründeten Arbeitnehmervereins Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim. Als eine der ersten Aktionen des Vereins verließen im Dezember 1992 einige Dutzend Arbeitnehmer der Adlerwerke trotz Androhung von Repressalien durch die Werksleitung ihren Arbeitsplatz, um auf dem Hauptfriedhof bei einer Kranzniederlegung der Opfer des KZ-Katzbach in den Adlerwerken zu gedenken. Traurig genug, dass dieser Akt der Trauerbezeugung erst nach 47 Jahren ausgeführt wurde. ... Eine Lehre der Geschichte ist, dass Verantwortliche benannt werden und für ihr Handeln einstehen müssen. So schlimm wie es damals war, dass Betriebsangehörige und viele Bewohner des Stadtteils die Vorgänge in den Adlerwerken hinnahmen, so schlimm ist es heute, dass bisher weder die damaligen Nutznießer, noch deren Rechtsnachfolger eine Entschädigung an die Überlebenden gezahlt haben.“