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Erinnerungen der Häftlinge

Transkript des bei der Aufführung gesprochenen Textes.

Henning Kühn und Hartmut Bart-Engelbarth lesen

Foto: Bernd Löser

Ankunft in Frankfurt

Wir kamen in Frankfurt am Main am 29.9.1944 gegen Nachmittag auf dem Güterbahnhof an. In von SS-Männern umstellten Gruppen zu je 100 Mann führte man uns durch einen zerstörten und fast menschenleeren Stadtteil über die Anschlussgleise zu den Adlerwerken. Vom Augenblick des Abbiegens von der Straße in das Fabrikgelände durch teilweise zerstörte oder ausgebrannte Gebäude und Hallen begann das Schlagen und Treten. Das war der Anfang.

Man führte uns in die Fabrikkeller, die als Luftschutzkeller dienten. Hier fehlte es nicht an SS-Männern auf jedem Treppenabsatz und jeder Korridorbiegung, die beim Durchzählen der Gefangenen nicht vor dem Gebrauch von Stöcken, Gummiknüppeln oder Stiefeln zurückschreckten. Endlich waren wir zu je 100 Mann in die unterirdischen Bunker aufgeteilt. In den Luftschutzbunkern gab es kein Wasser, außer zwei Fässern, in denen sich eine verfaulte und verschimmelte Flüssigkeit befand, die einmal Wasser gewesen war. Diese verfaulte und verschimmelte Flüssigkeit, die wir, mit bloßen Händen, Schachteln, Mützen ausschöpften, hatten wir sehr schnell ausgetrunken. Da man zu viele Leute in jedes Zimmer gedrängt hatte, gab es praktisch keine Möglichkeit, sich hinzulegen oder wenigstens sich hinzusetzen. Nach dieser furchtbar ermüdenden Nacht gab man jedem von uns am Morgen einen halben Liter Kaffee - uns, die wir vor Durst fast verrückt waren, da wir vier Tage und Nächte nichts zu Trinken bekommen hatten. So standen wir noch drei Tage und Nächte hindurch, vor Durst und Müdigkeit fast ohnmächtig. Am vierten Tag endlich führte man uns aus dem Keller.

Im offiziellen Übergabeprotokoll der SS hieß das »Transport ordnungsgemäß übernommen.«

Unterkunft

Die Häftlinge hausten in beschädigten Räumen und Ruinen, so die Aussagen von Werksangehörigen nach dem Krieg. Nach dem Luftangriff vom 12. September 1944, war auch der für das KZ vorgesehene Gebäudeteil schwer beschädigt worden. Innenausbau und Einrichtung der Häftlingsunterkünfte schob man zu Gunsten anderer produktionswichtiger Bau- und Reparaturmaßnahmen auf. Ryszard Kojer und Zygmunt Kaczmarski berichten: »Man führte uns... in das zerstörte Fabrikgebäude... in eine ca. hundert Meter lange Fabrikhalle, die unser Quartier werden sollte, die aber noch voller Feuchtigkeit und Wasser war. Die Decke war gerade erst mit Zement abgedichtet worden und tropfte noch. In der Halle selbst wurden erst nach und nach mehrstöckige Holzbetten aufgestellt. Die meisten von uns Gefangenen mussten auf dem feuchten Fußboden schlafen.«

Die zerbrochenen Fensterscheiben wurden nur partiell ersetzt und die Geschossdecke blieb undicht. Der sehr niederschlagsreiche Herbst und Winter und viel Schnee im Januar 1945 führten dazu, dass der Schlafsaal teilweise unter Wasser stand. Dafür gaben die defekten sanitären Anlagen kaum Wasser. »Seifenstücke, die einige noch aus Dachau mitgebracht hatten, waren längst verbraucht. Neue gab es nicht. Handtücher oder irgendwelche Lappen wurden nicht verteilt. «

Das Lager hatte eine Fläche von 1300 m², d.h. pro Häftling war das kaum mehr als 1 m². Zeitweise mussten zwei bis fünf Häftlinge in einem Holzbett schlafen, die Decken reichten nicht. Die nach dem Krieg ermittelnden Kriminalbeamten waren empört darüber, »daß die Häftlinge kein Stroh für ihre Betten zur Verfügung hatten und auf den blanken Brettern liegen mußten.«

zuständig: Adler

Kleidung

Es gab bei klirrender Kälte des Winters 1944/45 weder Heizung noch Öfen. Ab Dezember 44 bis Ende Januar 45 sank das Thermometer manchmal auf minus 19 Grad. Die Häftlinge verfügten nur über sogenannte »Drilliche«, Sommermonturen, Holzschuhe und eine Kappe, die gegen Kälte und Nässe kaum schützten. Ersatzkleidung gab es nicht. Sie arbeiteten und schliefen darin, und nach kurzer Zeit bestand diese Häftlingskleidung nur noch aus Lumpen. René Kern sah darin eine gezielte Absicht: »Wir sollten Ekelgefühle hervorrufen, alles wurde in dieser Absicht gemacht: lebende Skelette, dreckig, unrasiert, kahlgeschoren, Häftlingskleidung, mitleiderregende und abstoßende Lumpen, mit Ungeziefer bedeckt, alle krank.«

Obwohl die Häftlinge praktisch keine Reinigungsmöglichkeiten hatten, bestrafte die SS fehlende Sauberkeit: sie liebten Sauberkeit, also schlugen sie die Schmutzfinken.

zuständig: die SS

Ernährung unter dem Existenzminimum

Als der Häftling Gottlieb Sturm Anfang Februar 1945 in den Adlerwerken eintraf, stellte er fest, dass sich die Häftlinge im Lager »Katzbach« in einem bedeutend schlechteren Ernährungszustand befanden, als die Neuankömmlinge aus dem KZ Buchenwald. Er schildert detailliert den KZ-"Speiseplan". Tags: 6 Mann ein Brot zu 1.500 Gramm; ein Liter dünne Wassersuppe, die nie Kartoffeln, sondern nur Kartoffelschalen enthielt. Abends: Die gleiche Suppe und nochmal 6 Mann ein Brot zu 1.500 Gramm. Die Nachtschicht bekam um 24 Uhr entweder eine Suppe oder 5 Mann ein Brot und eine Scheibe Wurst.

Eine Angestellte der Adlerwerke: »Das Essen war wenig und primitiv. Täglich wurden die Häftlinge schwächer und weniger.« Ein Einrichter: »Die haben mir gesagt, ich soll`s probieren. Ich habe nur daran gerochen, da habe ich schon genug gehabt.«

Als Lagerkoch nahm SS-Scharführer Weiß eine Schlüsselrolle ein. Der Häftling Kasimiersz Dozla: »Weiß ging immer mit einem Gummiknüppel im Lager herum, schlug Leute ohne besonderen Grund, war immer betrunken. Weiß unterschlug Lebensmittel, die er im Magazin empfing. Auf dem Weg zum Lager wurden die Lebensmittel an Geschäfte gegen Schnaps eingetauscht.« Der Häftling Josef Kozwiak: »Er war ein dreckiger, dreckiger Kerl. Da sind Kartoffeln angekommen - ich glaube für die ganze Mannschaft fünf Säcke - und er hat einen erwischt, der sich zwei Kartoffeln eingesteckt hat. Weiß hat ihm die Kartoffel in den Mund gestopft, ihn am Hals gepackt und hat ihm die Kartoffel mit der Faust im Mund zerkleinert - so hat er auf ihn eingedroschen. Das war das Schlimmste.«

Einige Häftlinge versuchten ihre quälenden Hungergefühle durch die Einnahme von Chemikalien zu stillen. Der Häftling Johann Kopec erklärte: »Salz war wenig oder gar nicht im Essen. Einige Häftlinge entwendeten in den Adlerwerken chemisches Salz, welches sie dann als Kochsalz verwendeten. Die Folge waren Vergiftungserscheinungen, die sehr oft tödlich wirkten.« Über den qualvollen Tod eines Häftlings und die unterlassene Hilfeleistung des Lagerleiters Franz berichtet einer der Einrichter: »Einmal während einer Nachtschicht stellte ich fest, daß ein Häftling an seiner Maschine plötzlich blaß wurde, ihm der Schweiß auf die Stirn trat und er umzufallen drohte. Ich befragte einen in der Nähe stehenden Häftling, was ihm fehle. Darauf antwortete er mir, daß dieser Salz gegessen habe. Ich stellte darauf fest, daß es sich um »Radikal« handelte, welches zum Materialabkochen benutzt wurde. Da ich keine andere Möglichkeit zur Verfügung hatte, meldete ich dies sofort dem anwesenden SS-Posten, um den Häftling zur Verbandsstation bringen zu dürfen. Dies lehnte der jedoch ab mit der Begründung, daß er das erst dem Lagerführer melden müsse, der dann zu entscheiden habe, was mit dem Mann zu geschehen habe. Er ging - es war nachts gegen 2 Uhr - den Lagerführer wecken. Nach einiger Zeit kam dieser, und ich meldete ihm den Vorfall. Franz lehnte jedoch jede Hilfe kategorisch ab und meinte, wenn der Gefangene »Radikal« gefressen habe, dann wolle er auch sterben, und dann solle er es auch ruhig. Der Häftling wurde dann in einen unbenutzten Waschraum gebracht, wo ich noch versuchte, ihn durch Wasser zu erfrischen. Gegen Morgen ist er dann verstorben. Lagerkommandant Franz, der später behauptete, er habe die Häftlinge belehrt, daß dieses Präparat giftig sei, kommentierte den Tod durch Vergiftung aufgrund quälenden Hungers und Durstes nach dem Krieg vor der Staatsanwaltschaft mit der lapidaren Bemerkung: »Die Folge dieses Salzgenusses war, daß sie mitunter innerhalb einer Stunde starben«. Und der Erklärung: »Viele nahmen es auch wahrscheinlich deshalb, um ihrem Leben ein Ende zu setzen.«

Die systematische Verelendung der Häftlinge

Die Läuseplage war das Schlimmste. »Alle«, so beobachtete Max Loock, »waren ständig damit beschäftigt, die unzähligen Läuse von ihren bereits total zerfressenen Körpern zu töten. Die Läuse sammelten sich vor allem im Nabel und in offenen Wunden.« Stanislaw Madej bekam ein Geschwür an der Brust, welches in der Erste-Hilfe-Station aufgeschnitten wurde. »Am folgenden Tag nahm ich den Verband herunter und erblickte in der ganzen Wunde eine ungeheure Zahl von Läusen, die ich mit einem Löffel beseitigen mußte.« Wladislaw Jarocki: »Die Fingernägel haben wir uns mit den Zähnen abgeknabbert, damit wir uns nicht kratzen konnten. Jede Wunde heilte nicht mehr.«

Die Angst vor Typhus zwang die Adlerwerke und die SS schließlich dazu, sich über die Vernichtung des Ungeziefers Gedanken zu machen. Drei Mal, im Oktober und Dezember 1944 sowie im März 1945, wurden die Häftlinge in die Ackermannschule zum Baden und zur Entlausung geführt. Jozef Marcinkowski beschreibt den ersten Gang: «Endlich erreichten wir die Badeanstalt. Bad und Desinfektionsabteilung waren nicht groß. Die Desinfektionszellen waren sehr klein. Die Duschen waren defekt. Das Wasser war eiskalt. Die Leistung war gering. Wir standen nackt ausgezogen und warteten bis wir an der Reihe waren. Das dauerte ungefähr sechs Stunden. Wir kamen so schmutzig zurück, als hätte es das Bad nicht gegeben. Unsere Kleidung war vertauscht und naß. Dafür trugen wir sieben Verstorbene und zehn Halbtote ins Lager zurück. Die Läuse hatten nicht einmal einen Schnupfen bekommen. Daraufhin kamen die SS-Männer zu dem Schluß, daß die Lagerunterkünfte desinfiziert werden müßten. Es fand sich sogar eine Spezialfirma. Zwei Tage später wurden wir in die Bunker gejagt, wo wir zwei Tage nackt sitzen mußten. Im dritten und vierten Stock, wo sich unser Lager und das Revier befanden, wurden spezielle Schwefelkerzen angezündet. Als wir nach zwei Tagen und zwei Nächten zurückkamen, starben zwei von uns, bevor es uns gelang, die vergitterten Fenster aufzureißen, und vierzehn weitere starben während der Nacht.«

René Kern schildert die Situation ab Dezember 1944: »Körperpflege und Hygiene gab es nicht, man aß, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, Abfälle, man lebte und schlief zwischen den Toten, den Leidenden, den Kranken, den Fiebernden, den Tuberkulose- und Ruhrkranken, den Sterbenden, die ihre Bedürfnisse auf sich selbst und auf ihre Kameraden verrichteten.«