Gegen das Vergessen: Übersicht < Orte < Golub-Lebedenko-Platz < Presseberichte

Aus der Frankfurter Rundschau vom 21.08.1997:

Von der Nachbarschaft festgehalten und mit Genickschuß ermordet

Ernst Kaiser informierte über Verbrechen der Nationalsozialisten im Gallus / Straßenname zum Gedenken an Mordopfer?

Von Andreas Schwarzkopf

GALLUS. Der Mann liegt mit dem Gesicht im Schnee — tot. Es ist der 14. März 1945. Tatort Gallus. Unbarmherzig haben die Verfolger die beiden jungen Männer gehetzt, ehe sie sie vor den Häusern der Lahnstraße 32 und der Kriegkstraße 27 gestellt und auf offener Straße kaltblütig exekutiert haben. Der Leidensweg des 19jährigen Bergmanns Adam Golup und des 21jährigen Drehers Georgi Lebedenko endete wenige Tage vor Kriegsende im Gallus. Mit einem Videofilm und einem Vortrag erinnerte Ernst Kaiser vor der Sitzung des Ortsbeirats l (Bahnhof, Gallus, Gutleut, Innenstadt, Altstadt) an das Schicksal der beiden Kriegsgefangenen und vieler Leidensgenossen.

Die braunen Schergen hatten den Kiewer Lebedenko und den in Dniepropetrowsk geborenen Golup in das KZ-Außenlager Natzweiler verfrachtet; von dort wurden sie von der SS zur Zwangsarbeit in die Adlerwerke transportiert. Die beiden Sowjetrussen gehörten zu den etwa 1600 Häftlingen, die zwischen August 1944 und März 1945 in den Adlerwerken halfen, die Rüstungsproduktion aufrechtzuerhalten. Sie fertigten Fahrgestelle für einen Schützenpanzer. Dabei starben im Lager der Adlerwerke mit dem Tarnnamen Katzbach 528 Menschen: sie erlagen Unterernährung und Krankheit oder wurden ermordet. Zu den Opfern gehören auch Golup und Lebedenko. Über das Motiv ihres Fluchtversuchs ist nichts bekannt. Kaiser vermutet, sie hätten versucht, der bevorstehenden Evakuierung des Lagers zu entgehen. Kurz vor der Auflösung des Lagers hatten etwa 20 Gefangene ihr Heil in der Flucht gesucht. Obwohl sie wußten: Ihre Chance, auf der Straße zu überleben, war gering.

Dem französischen Häftling Rene Kern gelang dies. In dem Buch „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten" von Ernst Kaiser und Michael Knorn berichtet er, wie es ihm nach der Flucht mit einem russischen Mitgefangenen erging: „Wir aßen Abfälle, aus denen wir mit Tritten die Ratten vertrieben. Ich habe die Mauern abgeleckt und die Abwässer von Frankfurt getrunken. Ich lebte furchtsam wie ein Tier und zitterte bei jedem Lärm. Ich war mir bewußt, wenn ich noch einmal in Gefangenschaft gerate, würde ich grausam ermordet." Das grauenvolle Leben in der durch Bomben zerstörten Stadt hatte Kern dem Leben im Lager vorgezogen. Er dürfte zu den erfahrenen Häftlingen gehört haben, die ahnten, was nach dem 24. März des letzten Kriegsjahres auf die Gefangenen wartete. Kurz vor der Befreiung Frankfurts wurden die verbliebenen 350 Häftlinge auf den Todesmarsch nach Buchenwald geschickt. 250 arbeitsunfähige und kranke Häftlinge waren bereits Ende 1944 nach Dachau und in andere Lager in den sicheren Tod deportiert worden. Nur von 48 Menschen der insgesamt 1600 Zwangsarbeiter der Adlerwerke ist sicher, daß sie überlebten. Erfolgreiche Fluchtversuche wie der von Kern waren selten. Die meisten Fluchten endeten tödlich. Dafür sorgte auch die Stadtwacht des Ortsgruppenleiters Heinrich Arras, die entflohene Zwangsarbeiter einfangen sollte, „aber explizit aufgefordert wurde, fliehende Häftlinge aus den Adlerwerken zu erschießen", berichtete Kaiser.

Für mindestens einen der beiden Morde an Golup und Lebedenko wird der SS-Mann und Lagerkoch Martin Weiß verantwortlich gemacht. Er soll einen der beiden auf offener Straße mit einem Genickschuß getötet haben, nachdem „offenbar die halbe Nachbarschaft" (Kaiser) geholfen hatte, sie zu ergreifen.

An die ehemaligen Zwangsarbeiter der Adlerwerke erinnert heute kaum etwas. In der Chronik der Adlerwerke tauchen sie nicht auf, erläuterte Kaiser. In der Kommune gibt es derzeit nur eine Stätte, die an die Opfer erinnert. Auf dem Hauptfriedhof ruhen die Gebeine von 528 ehemaligen Häftlingen in der „Grabstätte der Opfer des KZ-Außenlagers Katzbach". Lange Jahre war das Massengrab fälschlich als „Polnisches Kriegsgrab" betitelt. Das hat der Verein „Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim" (LAGG) im Frühjahr diesen Jahres ändern lassen. Zum Jahreswechsel hatte ein Mitglied des Vereins außerdem dem Ortsbeirat l vorgeschlagen, die Lahn- und Kriegkstraße in Adam-Golup- und Georgi-Lebedenko-Straße umzunennen. Die Fraktionen überlegen nun, ob sie Gedenktafeln an den Häusern anbringen lassen sollen. Diskutieren wollen sie auch eine Idee von Kaiser: Er hatte angeregt, dem noch namenlosen Platz, den Kriegk- und Lahnstraße bilden, den Namen der beiden Mordopfer zu geben.

Bis zu einer Entscheidung in der kommenden Ortsbeirats-Sitzung am 9. September soll auf jeden Fall die Gedenktafel der Stadt an den Adlerwerken angebracht werden. Sie lagert derzeit bei dem Künstler Günter Maniewski. Zu ihm hatten Mitarbeiter des Instituts für Stadtgeschichte die Tafel gebracht, nachdem sie 1993 oder 1994, so genau weiß das Amtsleiter Dieter Rebentisch nicht, Kulturdezernetin Linda Reisch (SPD) in den Adlerwerken enthüllt hatte. Als die Adlerwerke umgebaut wurden, wurde die Tafel kurzerhand eingemottet. Rebentisch versichert auf Anfrage der Stadtteil-Rundschau: „Noch in diesem Jahr wird die Gedenktafel angebracht."

Wer mehr über über die Rüstungsproduktion, Zwangsarbeit und Vernichtung in den Frankfurter Adlerwerken wissen möchte, der kann das Buch „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten" von Ernst Kaiser und Michael Knorn lesen. Erschienen ist es im Campus Verlag.

Frankfurter Rundschau vom 21.08.1997