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Die SS

Wer in dem Begriff “Vernichtung durch Arbeit” den Begriffsteil “Arbeit” überbetont, wird der Sache nicht gerecht. Schließlich bestanden Sinn und Zweck der Veranstaltung in der Vernichtung – nur tot garantiert die nicht entlohnte Arbeitskraft, dass sie keine Forderungen stellen wird. Nur in der Vernichtung realisierte sich der Extra-Profit, der durch die Einsparung der Lohnkosten erzielt wurde. Tjark Kunstreich, 25.11. 1998

Die Konzentrationslager waren seit Beginn des Krieges zu einem gigantischen Apparat der Repression und Vernichtung einerseits, Ausbeutung und Arbeitskräfteverwertung andererseits angewachsen. Sie unterstanden dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt. Stärkemeldung des WVHA vom 15. August 1944: 524.286 Personen (379.167 Männer, 145.119 Frauen) 15. Januar 1945: 714.211 Personen (511.537 Männer, 202.674 Frauen) Am 31.3.1944 gab es im Reich und in den besetzten Gebieten insgesamt 20 KZ mit 165 Außenlagern, Ende 1944 waren es mehr als 500 (Nürnberger Dok. NO-020) Die Lager waren ein weitgehend rechtsfreier Raum. Mit SS-eigenen Dienstvorschriften sollte dokumentiert werden, dass Behandlung und Bestrafung der Häftlinge der Willkür des einzelnen Bewachers entzogen sei. Tatsächlich waren sie – entsprechend dem rasseideologischen Konzept der SS „Vernichtung durch Arbeit“ - Stätten der totalen Verfügungsgewalt. Die Häftlinge wurden durch körperliche und seelische Gewalt in ständige Angst versetzt, um sie zu willenlosen Befehlsempfängern zu machen. Dazu gehörte auch die geplante Verweigerung existenzieller Bedürfnisbefriedigung. Hunger, Kälte, Schlafentzug, Nichtbehandlung von Krankheiten, keine Hygiene, das Zugrunderichten durch schwere körperliche Arbeit und die Zerstörung von Strukturen, die den Häftlingen Hoffnung und seelischen Halt hätten bieten können, waren KZ-Alltag. Um dieses Terrorsystem betreiben zu können, hatte man entsprechend ausgebildetes Personal, geübt durch tägliches „Härte“-Training in Gestalt rücksichtsloser Gewalt gegen wehrlose Menschen, von keinerlei moralischen Skrupeln beeinträchtigt, gestützt durch das Elitebewusstsein der SS.

Ab 1942 nahm die Zusammenarbeit zwischen Konzentrationslagern und Industrieunternehmen zu. Um KZ-Häftlinge zugeteilt zu bekommen, mussten die Betriebe „Anträge auf Gestellung von Häftlingen“ an das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt stellen. Einzureichen waren sie über die gebietszuständigen KZ-Hauptlager. Die zuständigen Kommandanten prüften, ob Arbeitseinsatz und Unterbringung den KZ-Richtlinien entsprachen und handelten Verträge über die Aufgabenteilung zwischen Betrieben und SS aus. Die Häftlinge wurden von den Betrieben „ausgeliehen“. Nur ein geringer „Mietpreis“ war zu entrichten, es entstanden keine Lohn-, Für- und Vorsorgekosten. Die Adlerwerke zahlten an das KZ Natzweiler pro Tag 6 RM für einen Facharbeiter und 4 RM für einen Hilfsarbeiter. Davon wurden 0,80 RM pro Kopf und Tag für Verpflegung abgezogen. Waren die Häftlinge „verbraucht“, nahm das KZ Natzweiler Kranke und Sterbende kostenlos zurück oder beglich die Bestattungskosten von 66,50 RM an das Friedhofsamt Frankfurt. Die SS war zuständig für die Bewachung der Häftlinge am Arbeitsplatz und im Lager, für die ärztliche Versorgung und Hygiene, Beschaffung von Bekleidung und Zubereitung und Verteilung des Essens. Zuständig für die Verpflegung waren die Adlerwerke.

Die Anzahl der SS-Leute im KZ-Adlerwerke schwankte zwischen 20 und 30. Neben dem Lagerkommandanten Franz, seinem Stellvertreter Lendzian (bis Januar 1944) und dem Lagerkoch Weiß gab es noch fünf SS-Unterführer, die keine Bewachungsaufgaben im Werk übernahmen. Sie teilten sich Verwaltungstätigkeiten und die Aufsicht über die tagsüber im Lager verbleibenden Häftlinge. Daneben gab es die Wachposten, die ausschliesslich mit der Bewachung der Häftlinge im Lager und am Arbeitsplatz befasst waren. Die SS-Mannschaft war außergewöhnlich klein, weil die Adler-Hilfswachmannschaft viele Funktionen der SS übernahm. Lagerkommandant Franz war Vorgesetzter der SS-Bewachungsmannschaft und in allen Häftlingsangelegenheiten allein verantwortlich. Er teilte die Häftlinge auch als Arbeitseinsatzführer zur Arbeit ein. Die Disziplinarstrafgewalt über die Häftlinge (Verhängung von Prügel- und Arreststrafen) befand sich in seiner Verantwortung. In Fällen, die mit der Todesstrafe geahndet wurden, hatte er Meldung an das Stammlager respektive das RSHA (Reichsicherheitshauptamt) zu machen und von dort ergangene Befehle auszuführen – bei Fluchtversuchen herrschte Standrecht. Willkürliche exzessive Gewalt war alltäglich. Die SS machte klar, dass sie mit den Häftlingen machen konnte was sie wollte. Geprügelt wurde ohne Ankündigung und wahllos. Daneben gab es eine Strafordnung, nach der auch kleinste „Vergehen“ mit Prügelstrafen, „Bunker“, Essensentzug und Stehappellen geahndet wurden. Es gibt zahlreiche Hinweise auf Körperverletzung mit Todesfolge; öffentliche Erhängungen und Erschiessungen sind dokumentiert. Weitere systematische Bestandteile des Terrors waren Mangel an Bekleidung, praktisch keine Reinigungsmöglichkeiten und Hygiene sowie extreme Unterernährung. Ein Großteil der völlig unzureichenden Lebensmittelrationen wurde den Häftlingen von der SS auch noch vorenthalten bzw. unterschlagen.

Forschungsarbeiten belegen, dass die SS vor allem gegen Ende des Krieges aus Rücksicht auf einen effizienten Rüstungsausstoß den Unternehmen einen erheblichen Spielraum bei der Gestaltung der Lebens- und Arbeitsbedingungen einräumte. Einige Betriebe setzten sich darauf hin z.B. für bessere Verpflegung und Behandlung der Häftlinge ein, um ihre Überlebenschancen und ihre Arbeitsfähigkeit zu erhöhen. Die Adlerwerke machten davon offensichtlich keinen Gebrauch.