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Wie geht die Stadt Frankfurt mit ihrer nationalsozialistischen Geschichte um?

1949 übergab die Stadt Frankfurt eine Urne mit symbolischer Asche von Opfern des Arbeitserziehungslagers Heddernheim und eine des Konzentrationslagers in den Adlerwerken für die Errichtung eines Ehrenmals zum Gedenken an die Opfer faschistischer Verfolgung auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. In der Begleiturkunde dazu hieß es „Diese Urne enthält Erde aus dem Zwangsarbeiterlager Frankfurt am Main bei der Adler-Werke-AG, Kleyerstraße, Zweigstelle des Arbeitslagers Natzweiler/Elsaß.“ Der Begriff „Konzentrationslager“ wurde sowohl für das Stammlager wie das Aussenlager bewusst vermieden. Der zuständige Stadtrat ordnete darüber hinaus an: Die Ortsbestimmung „bei der Adler-Werke AG“ ist ersatzlos zu streichen (Schreiben Stadtrat Miersch an das Bestattungsamt 18.3.1949, Garten- und Friedhofsamt, Akte Polengrab).

55 Jahre später findet man im Internetportal der Stadt im November 2004 folgende beschönigende Information über die Adlerwerke:

Adlerwerke, vorm. Heinrich Kleyer AG
Kleyerstr. 17
Produktion von Automobilen, Fahrrädern, Schreib- und Buchungsmaschinen
Betriebseigene Zwangsarbeiterlager:
Froschhäuser Str.
Kleyerstr. 45
Krifteler Str. 47 (Werk IV)

Weder wird auf dieser Seite, die beansprucht, sich mit Frankfurts nationalsozialistischer Geschichte auseinanderzusetzen, überhaupt erwähnt, dass ein Konzentrationslager auf dem Betriebsgelände errichtet wurde, noch wird auf die Schützenpanzerproduktion eingegangen, die es überhaupt ermöglichte, dass den Adlerwerken KZ-Häftlinge zugeteilt wurden.

Diese Formulierungen sind beispielhaft für die seichten, das Wesentliche auslassenden Verlautbarungen der städtischen Historiker. Es drängt sich der Eindruck auf, das KZ-Adlerwerke soll unter dem Kapitel Zwangsarbeit abgehandelt werden. Und wie man aus einer Veröffentlichung des Instituts für Stadtgeschichte ersieht, arbeitet man auch daran, den Begriff „Zwangsarbeit“ wegzudiskutieren, indem man ihn auf eine subjektive Ebene hebt:

In dem Artikel „Ausländische Arbeitskräfte und Arbeitseinsatz in Frankfurt am Main 1938 – 1945“ (von Lutz Becht, 1999), urteilt der Forscher, dass bisher erschienene Bücher zur Zwangsarbeit in Frankfurt nur bedingt wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Er betont: „Auf den Begriff ‘Zwangsarbeiter’ wird in voller Absicht verzichtet. Die Empfindung von Zwang ist subjektiv und läßt sich nicht ohne weiteres von anderen politischen und sozialen Mechanismen wie Macht, Kontrolle, Einfluss etc. eindeutig abgrenzen. Außerdem waren die Erfahrungen von Zwang für die unterschiedlichen Gruppen wie z.B. der französischen oder niederländischen Zivilarbeiter (oft kollaborierend oder am Rande der Kollaboration), der sowjetischen Ostarbeiter oder die der ständig vom Tod bedrohten KZ-Häftlinge recht unterschiedlich und erlauben von daher keine simplifizierende wie verschleiernde Kategorisierung ‘Zwangsarbeiter’. Denn auch Deutsche mußten nach der ‘Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung’ Dienstverpflichtungen erdulden und empfanden dies als Zwang ...“ (Bd. 65 „Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst“, herausgegeben von Dieter Rebentisch., 1999, S. 425)

Erst 2015 wird in einem Artikel von Lutz Becht (Institut für Stadtgeschichte) auf diesem Internetportal erstmals das KZ auf dem Betriebsgelände erwähnt. Dabei bezieht er sich in weiten Teilen auf die Forschungsarbeit von Ernst Kaiser und Michael Knorn, die beiden Pädagogen, die er in den Jahren zuvor noch abfällig als „Hobbyhistoriker“ bezeichnet hatte. Lutz Becht bemüht sich, die Geschäftsführung der Adlerwerke, die Aktionäre und die Stadt aus der Verantwortung für das KZ und die hohe Todesrate herauszuhalten. Fast könnte man meinen, das SS-Wirtschaft-Verwaltungs-Hauptamt (SS-WVHA) habe die KZ-Häftlinge den Adlerwerken förmlich aufgezwungen. Anscheinend war es noch zu diesem späten Zeitpunkt opportun, einen ehemals bedeutenden Frankfurter „Traditionsbetrieb“ nicht mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit in Verbindung zu bringen.

www.Frankfurt1933-1945.de

Zurück ins Jahr 1986: Schülerinnen und Schüler entdeckten Leichenschauscheine der KZ-Häftlinge in Aktenbänden des Garten- und Friedhofsamtes. 1987 sah sich daraufhin der damalige Friedhofsleiter veranlasst, ein einziges Dokument zur Lagergeschichte an das Stadtarchiv zu übergeben. Es handelte sich um das Schreiben des Lagerkommandanten Franz an das Bauamt-Bestattungswesen vom 24.10.1944 aus dem hervor geht, dass Häftlingsleichen nicht mehr in das Stammlager Natzweiler transportiert, sondern im städtischen Krematorium verbrannt und ihre Asche an abgelegener Stelle „beigesetzt“ werden soll. Der Friedhofsleiter in seinem Begleitschreiben dazu: „Soviel ich weiß, wird damit ein heikles Thema berührt. Bis jetzt ist die Existenz der Außenstelle des Konzentrationslagers Natzweiler bei den Adlerwerken womöglich geleugnet worden.“ (Schreiben an den Leiter des Stadtarchives vom 8.4.1987). Das hielt das Institut für Stadtgeschichte indessen nicht davon ab, noch 1990 die behördeninterne Auskunft zu erteilen, dass „sich aus allen verfügbaren Unterlagen kein Hinweis auf eine nationalsozialistische Einrichtung in der Kleyerstraße“ ergibt. 1993 sind laut Garten- und Friedhofsamt die Aktenbände mit sämtlichen Leichenschauscheinen verschwunden. Für die Grabstätte der KZ-Opfer lässt die Stadt bis heute keine Zuständigkeit erkennen - lediglich in Form bürokratischer Gängelung von Privatinitiativen war sie aktiv. Die falsche Benennung des Gemeinschaftsgrabes in verschiedenen Friedhofswegweisern wird erst 1997 berichtigt. Im Dezember 1993 - nach einigem öffentlichen Druck - wurden Überlebende eingeladen, und neun von Ihnen folgten der Einladung. In ihrer Anwesenheit enthüllte die Kulturdezernentin Linda Reisch eine Gedenktafel in den Adlerwerken. Kurz nach dieser ersten öffentlichen Geste der Stadt Frankfurt verschwand die Tafel für fünf Jahre wegen Bauarbeiten und wurde erst 1998 wieder -nach einigen Auseinandersetzungen – an der Außenmauer der ehemaligen Adlerwerke angebracht. Gegen das Votum des Ortsbeirates hatte das Institut für Stadtgeschichte die Tafel im weniger sichtbaren Innenhofbereich anbringen wollen.

1997 lud die Initiativgruppe des LAGG, unterstützt von DGB, IG-Metall, VVN und anderen die Überlebenden für einige Tage nach Frankfurt ein. Eine finanzielle Beteiligung der Stadt gab es nicht; ein Empfang im Römer musste mit Nachdruck eingefordert werden. Sowohl dieser Besuch wie der von 1993 wurden von den Stadthistorikern nicht genutzt um ihre Kenntnisse über das KZ-Adlerwerke durch Befragungen der Überlebenden zu erweitern und die von Ihnen wiederholt beklagte dürftige Quellenlage zu verbessern.

Der Magistrat der Stadt, das lässt sich nicht anders sagen, sieht sich nicht in der Pflicht die Geschichte des KZ zu erforschen und angemessen an die Opfer zu erinnern. Die Errichtung eine Lern- und Gedenkstätte auf dem Gelände der ehemaligen Adlerwerke, eine schon in der Umbauphase des Gebäudekomplexes erhobene Forderung, lehnte sie bisher ab.