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Rede von Andrzej Branecki am 24. März 1999

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin heute zum vierten Mal in Frankfurt. Zum ersten Mal war ich damals hier zwischen Januar und März 1945. Ich kam nach Frankfurt zusammen mit anderen Mitgefangenen aus dem Konzentrationslager Buchenwald.

Das Jahr 1944 war für mich, einen 14-jährigen Jungen, wirklich sehr schwer. Zuerst erlebte ich den Warschauer Aufstand und nach dessen Niederschlagung kam ich mit anderen Warschauern ins Übergangslager nach Pruszków, dann in das Konzentrationslager Dachau. Dort bekam ich die Nummer 106016 und seit der Zeit war ich kein Mensch mehr – nicht Andrzej Branecki, sondern nur noch eine Nummer.

Dort habe ich viel erlebt und gesehen. Meine Erfahrungen: Hunger, Appelle, Sadismus, Schläge. Für mich, einen jungen Menschen, war es nicht zu fassen, dass es so was auf der Welt gibt. Damals dachte ich – Schlimmeres kann mir nicht passieren.

Leider kam ich nach einigen Wochen ins KZ Mannheim-Sandhofen und dort erhielt ich die Nummer 29807. Es war schlimmer als in Dachau. Jeden Morgen der Marsch in die Daimler Benz-Fabrik, ca. acht Kilometer. Dort die Arbeit acht bis zehn Stunden und abends der Marsch zurück, der gleiche Weg.

Es war kalt. Wir liefen nur in der Sträflingsbekleidung. Hunger und dann Läuse, die wurden immer mehr.

Damals dachte ich wieder, es konnte mich nichts Schlimmeres treffen – und es kam anders.

Nach den schweren Bombenangriffen in Mannheim im Dezember 1944 wurde ein Teil unserer Gefangenen nach Buchenwald abtransportiert und ich bekam die Nummer 55099. Nach ein paar Wochen, ca. am 25. Januar, kamen wir nach Frankfurt zu den Adlerwerken. Ich möchte nicht erzählen, wie wir hier gelebt und gearbeitet haben, für mich, aber auch für die anderen war es eines der schlimmsten Arbeitslager.

Jeden Tag starben Dutzende Leute. Ich wusste nicht, dass mich noch schlimmere Erlebnisse erwarteten.

Gegen Ende März 1945 – Nachtalarm. Am Morgen gehen wir nicht zur Arbeit, sondern treffen uns im Hof. Und so begann mein erster Todesmarsch nach Buchenwald. Wir verließen Frankfurt mit ca. 1000 Personen und in Buchenwald kamen nur noch ca. 300 Leute an.

Der Rest wurde unterwegs erschossen. Wer keine Kraft hatte weiterzugehen, legte sich in den Graben hin und der Wachmann schoss ihm in den Kopf, so dass er zersplitterte. Es gab auch Fluchtversuche, meistens aber ohne Erfolg. Die Flüchtlinge wurden erschossen. Es passierte auch, als wir auf den Wiesen geschlafen haben, dass nicht alle in der Frühe aufgestanden sind. Einige sind einfach im Schlaf gestorben. Es war furchtbar. Ich möchte das alles gerne vergessen, darüber nicht mehr reden, aber leider sind die Erinnerungen so stark, dass ich sie nicht auslöschen kann.

Zum zweiten Mal war ich nach fast fünfzig Jahren in Frankfurt. Wir kamen zusammen mit acht anderen überlebenden Gefangenen auf Einladung des Bürgermeisters der Stadt Frankfurt. Wir wurden sehr herzlich von der Stadt, der LAGG und von vielen Bürgern der Stadt Frankfurt empfangen. Damals haben wir unter anderem Herrn Kaiser und Herrn Knorrn kennengelernt. Sie haben das Buch „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten“ verfasst. In diesem Buch wurden unsere Erlebnisse beschrieben.

Bei der Einweihung der Gedächtnistafel in den Adlerwerken hielt unter anderem Herr Lothar Reininger eine Rede. Diese Rede war sehr herzlich und wir waren sehr gerührt.

Dieser Aufenthalt in Frankfurt änderte unsere Gefühle zu den Deutschen. Wir haben ganz andere Leute gesehen – freundliche und herzliche.

Zum dritten Mal war ich zusammen mit einigen Kollegen hier, auf Einladung der LAGG, zur Einweihung der Gedächtnistafel auf dem Friedhof. Dort, wo unsere 528 Mitgefangenen liegen. Wieder haben wir viele Leute kennengelernt. Ich kann nicht alle Namen nennen, es waren so viele. Sie haben zu einer Versöhnung nicht nur mit uns, den ehemaligen Gefangenen, sondern auch unserer Nationen beigetragen. Jetzt weiß ich, dass wir hier herzliche Freunde haben.

Jetzt ist es der vierte Aufenthalt, zusammen mit Ewa, der Enkelin, deren Großvater auf dem Friedhof in Frankfurt liegt, und mit Andrzej, dem Sohn, dessen Vater ein Gefangener war und hier in Frankfurt beerdigt ist.

Unser Aufenthalt soll Warnung für die nächsten Generationen sein, dass nie wieder so etwas passiert, was ich erlebt habe.

Wir wissen von Eurem Vorhaben, in den Adlerwerken ein Erinnerungs- und Informationszentrum einzurichten. Dort sollen Dokumente der ehemaligen Gefangenen der Adlerwerke und anderer Betriebe in Frankfurt gesammelt werden. Wir möchten, dass dies so schnell wie möglich passiert und als Informationszentrum dienen wird.

Ich wünsche Ihnen, Ihren Kindern und Enkelkindern, Urenkelkindern, auch mir, meinen Enkelkindern und Urenkelkindern, allen Bürgern aus Deutschland und Polen, dass sie in Frieden und Freundschaft lange leben.

Vielen Dank.